Dr. Hans Wolfgang Linster, Prof. Dr. Andreas Koch

Differenzierte Ergebnismessung zu Konsumverhalten und Teilhabe

Prof. Dr. Andreas Koch

Dr. Hans Wolfgang Linster

Der Kerndatensatz Katamnese (KDS-Kat) stellt eine Ergänzung zum „Deutschen Kerndatensatz zur Dokumentation im Bereich der Suchtkrankenhilfe (KDS)“ dar. Er ist zwar als separates Modul entwickelt worden, die Ausarbeitung erfolgte jedoch mit Bezug auf die Systematik und Zielsetzung, die bereits für die Entwicklung des KDS-E (Einrichtung) und KDS-F (Fall) maßgeblich waren. Der KDS-Kat entstand im Rahmen eines Konsensprozesses zwischen den beteiligten Institutionen und den Mitgliedern des Fachausschusses Statistik der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS). Der Fachausschuss setzte sich dabei das Ziel, Minimalstandards für die Durchführung von Katamnesen zu erarbeiten und im vorliegenden Katamnesemodul zur Verfügung zu stellen. Die vorgesehene Katamneseerhebung verfolgt zwei Hauptziele:

a) Sie erfasst zum einen die Ausprägung relevanter Merkmale der Klient/innen und Patient/innen im Zeitfenster der Katamnese wie z. B. die Lebens- und Wohnsituation, den Konsum von Substanzen oder auch die Inanspruchnahme einschlägiger Hilfe und ist insofern Statusdiagnostik.

b) Sie erfasst zum anderen im Sinne einer Verlaufsdiagnostik auch Veränderungen, die im Verlauf des Zeitfensters in relevanten Lebens- und Problembereichen aufgetreten sind.

Vorher-Nachher-Vergleiche mit dem KDS-F und dem KDS-Kat

Bei der Auswahl der Items für den Katamnesefragebogen wurde insbesondere darauf geachtet, die Strukturen und Items aufzunehmen, die im KDS-F enthalten sind (Lebenssituation, Wohnverhältnis, Erwerbssituation, erhaltene Hilfen, Veränderungen). Damit stehen die Angaben potentiell als Daten zur Verfügung, mit deren Hilfe Vorher-Nachher-Vergleiche vorgenommen werden können, um Veränderungen und insbesondere Behandlungserfolge zu erfassen.

Die ausgewählten Fragen haben sich in Routine- und/oder Forschungskatamnesen bewährt. Alle Formulierungen der Items wurden im Konsens mit den Experten des Fachausschusses Statistik der DHS festgelegt. Die ausgewählten Items gelten als ‚Minimalstandard’, sie sollen in jedem Fall in der vorliegenden Form in die Katamnesefragebögen der Verbände, Träger und Einrichtungen aufgenommen werden. Es steht jedem Verband, Träger oder jeder Einrichtung jedoch frei, die vorliegenden Items um weitere Items zu ergänzen, damit spezifische, den Verband, Träger oder die Einrichtung interessierende Fragestellungen untersucht werden können.

Um bei den Befragten eine möglichst hohe Akzeptanz für eine Beantwortung zu erhalten, wurde der Fragebogen so kurz und übersichtlich wie möglich gehalten. Allerdings lässt sich die komplexe Struktur der Abstinenzanalyse nur bedingt vereinfachen. Grundlegend für die Abfrage ist die Unterscheidung von durchgehender Abstinenz, Abstinenz nach Rückfall (also in den letzten 30 Tagen wieder abstinent) und durchgehender Rückfälligkeit, die sich aus den Standards für die Berechnung von katamnestischen Erfolgsquoten ergibt. Zunächst wird die durchgehende Abstinenz erfragt, anschließend die mögliche Abstinenz nach Rückfall. Erfasst werden außerdem Abstinenzphasen, die ‚vorwärts’ ausgehend vom Behandlungsende und ‚rückwärts’ ausgehend vom Katamnesezeitpunkt abgefragt werden. Falls keine durchgehende Abstinenz vorliegt, wird erfragt, welche Substanz konsumiert wurde, allerdings mit einer gegenüber dem KDS-Fall etwas vereinfachten Substanzliste. Erfragt wird auch der Substanzkonsum in den letzten 30 Tagen vor dem Katamnesezeitpunkt bzw. die Häufigkeit des Konsums in Tagen.

Konsumveränderung und Verbesserung wesentlicher Teilhabeaspekte

Neu im KDS 3.0 ist die Abfrage der Konsumveränderung, die in den KDS-Fall bei Behandlungsende und in den KDS-Kat in gleicher Form integriert wurde. Es wird ganz bewusst nach einer subjektiven Einschätzung zur Veränderung gegenüber der Zeit vor der Behandlung gefragt. Bewertet wird mit einer symmetrischen 5er-Abstufung (deutlich verringert – leicht verringert – gleich geblieben – leicht gesteigert – deutlich gesteigert). Mit dieser Ergänzung eröffnen sich bei der Bewertung von Behandlungserfolgen zwei zusätzliche Optionen:

a) In der ambulanten Suchtberatung werden viele Angebote für Betroffene gemacht, die nicht nur die Abstinenz zum Ziel haben und deren Erfolg im Hinblick auf den Substanzkonsum (neben der Verbesserung anderer wesentlicher Teilhabeaspekte) somit differenzierter erfasst werden kann.

b) Auch in der abstinenzorientierten Behandlung kann es von Interesse sein, das Ergebnis nicht nur im Hinblick auf die ‚klassischen‘ katamnestischen Erfolgsquoten, sondern auch im Hinblick auf die Veränderung des Substanzkonsums (falls keine Abstinenz erreicht werden konnte) zu erfassen. Damit können ggf. auch Vergleiche mit Behandlungsangeboten erfolgen, die nicht auf vollständige Abstinenz abzielen.

Berücksichtigung nicht-substanzbezogener Suchtformen

Eine weitere Neuerung im KDS 3.0 ist die deutlich umfassendere Erhebung von Daten und Informationen zu nicht-substanzbezogenen Suchtformen. Im KDS-Kat sind daher als Standard die Items für Glücksspiel und exzessive Mediennutzung vorgesehen. Analog zum KDS-F werden bei diesen Items die Begriffe „Spiel“ und „Nutzung“ in Abgrenzung zu den Begriffen „Konsum“ und „Substanz“ verwendet, um die Fragen für die Betroffenen verständlicher zu machen. Der KDS-Kat bietet allerdings eine vereinfachte Auswahl der Spiel- bzw. Nutzungsformen an.

Grundsätzlich sollen bei allen Behandelten in der Katamnese alle Konsumformen abgefragt werden, unabhängig von der Hauptindikation der Behandlung. Hintergrund ist der erhebliche komorbide Zusammenhang bspw. zwischen Glücksspiel und Alkoholabhängigkeit oder zwischen Drogenabhängigkeit und Mediennutzung. Dadurch wird die Abstinenzabfrage zwar aufwändiger und umfangreicher, der Fachausschuss Statistik der DHS hält diese Sichtweise auf komplexe Suchtphänomene aber für relevant und zukunftsweisend.

Durch die genannten Differenzierungen wirkt die Item-Liste des KDS-Kat auf den ersten Blick sehr kompliziert und ggf. für Betroffene schwer verständlich. Daher wird im Manual des KDS auch ein Vorschlag zur Darstellung der Items in einem Fragebogen gemacht. Es bleibt aber festzuhalten, dass sich das Spannungsfeld zwischen korrekter Erfassung komplexer Suchtphänomene und möglichst einfacher bzw. verständlicher Abfrage bei den Betroffenen (auch mit Blick auf die dadurch beeinflussten Rückläuferquoten) nicht vollständig auflösen lässt. Der Fachausschuss Statistik empfiehlt daher, schon während der Behandlung auf die Bedeutung der Katamnese hinzuweisen und das Vorgehen bzw. die Befragung im Rahmen einer ‚Katamneseschulung’ oder Informationsveranstaltung zu erklären und zu vermitteln.

Kontakt:

Dr. Hans Wolfgang Linster
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Institut für Psychologie
Engelbergerstr. 41
79106 Freiburg im Breisgau
hans.linster@psychologie.uni-freiburg.de

Angaben zu den Autoren:

Dr. Hans Wolfgang Linster war wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie am Psychologischen Institut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Jetzt ist er im Ruhestand und dort weiterhin als Lehrbeauftragter tätig.
Prof. Dr. Andreas Koch ist Geschäftsführer des Bundesverbandes für stationäre Suchtkrankenhilfe e. V. (buss) in Kassel und Mitherausgeber von KONTUREN online.