Dr. Kai W. Müller

Der Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland

Dr. Kai W. Müller

Unter der Bezeichnung „Störung durch Glücksspielen“ wird die unkontrollierte und zu negativen Folgeerscheinungen führende Nutzung von unterschiedlichen Glücksspielangeboten erstmals als eine Variante einer substanzungebundenen Abhängigkeitserkrankung (Verhaltenssucht) im ICD-11 (International Classification of Diseases, Weltgesundheitsorganisation, 2019) aufgeführt. Die Definition des Störungsbildes richtet sich somit nach den gängigen Kriterien von Abhängigkeitserkrankungen allgemein. Als diagnostisches Gerüst gelten die Kriterien der Priorisierung der Glücksspielnutzung vor anderen Lebensbereichen und Aktivitäten, eine verminderte Kontrolle über Art und Umfang der Glücksspielteilnahme und deren Fortführung trotz damit in Zusammenhang stehender negativer Konsequenzen.

Besagte negative Konsequenzen können sich auf alle Lebensbereiche Betroffener beziehen, wie aus zahlreichen epidemiologischen und klinischen Studien bekannt ist (z. B. PAGE-Studie, 2011). Dazu gehören beispielsweise finanzielle Probleme, die durch ein immer risikoreicheres und intensiviertes Spielverhalten in oftmals ganz erheblicher Form auftreten. Ebenso gehen nachhaltige Schwierigkeiten in der Lebensführung und ausgeprägte soziale Konflikte mit der Erkrankung einher. Daneben ergeben sich auch Folgen für die psychische, aber auch körperliche Gesundheit: Unter Betroffenen sind psychopathologische Symptome (wie etwa erhöhte Stressbelastung und depressive Symptome) und psychische Begleiterkrankungen (hier etwa erhöhte Komorbidität für Angststörungen, affektive Störungen und Persönlichkeitsstörungen) im Vergleich zur gesunden Allgemeinbevölkerung um ein Vielfaches erhöht, und auch Zusammenhänge mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten scheinen mittlerweile gesichert (vgl. z. B. Müller & Wölfling, 2019).

Der Glücksspielstaatsvertrag: Glücksspielen in geordneten Bahnen

Aus dieser knappen Ausführung wird ersichtlich, dass es sich bei Glücksspielen eben nicht um reine Unterhaltungsprodukte handelt, sondern sich aus ihrer Nutzung ernste Beeinträchtigungen ergeben können, zumindest wenn die bewusste Kontrolle über das Spielverhalten verloren gegangen ist. Dementsprechend existiert in Deutschland ein weites Netz an unterschiedlichen Anlaufstellen für Betroffene, welches Selbsthilfe, niederschwellige Beratungsangebote, ambulante Psychotherapien und stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sowie Nachsorgeangebote umfasst. Hier finden Menschen Hilfe, die bereits eine problematische oder auch suchtartige Glücksspielnutzung entwickelt haben. Die Versorgung bereits Betroffener ist natürlich wichtig, der Vorbeugung von neuen Erkrankungsfällen muss jedoch eine ebenso hohe Bedeutung beigemessen werden. Ein wesentlicher Baustein hierzu ist im so genannten Glücksspielstaatsvertrag (Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland; GlüStV) zu sehen, in welchem bundeseinheitliche Regularien für das Betreiben und die Nutzung von Glücksspielen in Deutschland festgehalten werden. Die erste Fassung des Glücksspielstaatsvertrags trat bereits im Jahre 2008 in Kraft, es folgten verschiedene Novellierungen, bis schließlich der „Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland“ (GlüStV 2021) ratifiziert wurde und nun zum 1.7.2021 offiziell in Kraft treten wird.

Der Grundgedanke des ursprünglichen Glücksspielstaatsvertrags bestand darin, verbindliche Rahmenbedingungen zu definieren, die das Betreiben und die Nutzung von Glücksspielen ermöglichen. Schon die erste Fassung des GlüStV berücksichtigte Fragen nach der Verhältnis- und Verhaltensprävention einer Störung durch Glücksspielen. Hierunter fallen beispielsweise die Regulierung der Angebotsdichte (Anzahl von zulässigen Spielbetrieben) und die Möglichkeit, eine Sperrung der Teilnahme am Spielbetrieb zu veranlassen. Mit der nun verabschiedeten Neuregulierung gehen im Vergleich zu den vorherigen Fassungen teils erhebliche Änderungen einher, deren Bedeutung speziell für den Spielerschutz im Folgenden umrissen und hinsichtlich ihrer Relevanz und potenziellen Auswirkungen kommentiert werden soll.

Der Status des Internetglücksspiels

Eine sehr wesentliche Veränderung bezieht sich auf den zuvor wenig regulierten Markt der internetbasierten Glücksspiele. Mit der zunehmenden Verbreitung des Internets geht schon seit vielen Jahren der Trend einher, dass sich auch das virtuelle Glücksspiel stark ausdifferenziert hat. So sind es längt nicht mehr nur Pokerportale und Sportwetten, die im virtuellen Raum zugänglich sind, sondern komplette virtuelle Casinos und Automatenspiele erweitern das Angebot. Die Neufassung des Glücksspielstaatsvertrags sieht nun vor, diesen Markt explizit zu berücksichtigen. Dies ist gleichbedeutend mit einer Zulassung von Online-Automatenspielen und berechtigt die Bundesländer auch dazu, Konzessionen für Online-Casinos zu vergeben. Da jene internetbasierten Glücksspielangebote natürlich unabhängig vom Glücksspielstaatsvertrag bereits im Internet verfügbar waren, wird durch diese Entscheidung das faktische Angebot an Glücksspielformen zwar nicht wirklich größer, es könnte aber präsenter und somit auch für weitere Zielgruppen interessant werden, die sich vorher aus dieser „Grauzone“ herausgehalten haben. Diese Neuregelung hat also nicht zur Folge, dass es mehr Glücksspiele geben wird, wohl aber, dass nun mehr legale Formen zur Verfügung stehen.

Diese grundlegende Änderung ist aus suchtpsychologischer Sicht hoch relevant. Bei internetbasierten Glücksspielen, allen voran Online-Casinos und Online-Automatenspiele, handelt es sich um Varianten von Glücksspielen, die mit erhöhten Raten an Kontrollverlust und entsprechend hohen finanziellen Verlusten einherzugehen scheinen. In vielen Beratungsstellen und klinischen Versorgungseinrichtungen lässt sich eine steigende Anzahl von Betroffenen feststellen, die vornehmlich internetbasierte Glücksspiele suchtartig nutzen. Auch höhere finanzielle Verluste bei einer Präferenz für Internetglücksspiele wurden und werden immer wieder berichtet. Zumindest um den letzten Aspekt aufzufangen, sieht der neue Glücksspielstaatsvertrag die Einrichtung einer Art zentralen Registers, der so genannten Limitdatei, vor. Hintergrund für diese Datei ist, dass es bei der Teilnahme an Internetglücksspielen ein finanzielles Limit geben soll, welches sich auf die Höchstsumme von 1.000 Euro Einsatz pro Monat beläuft. Auch wenn für einen nicht unerheblichen Teil der Spielenden diese Summe bereits mehr als ausreichend sein dürfte, um sich bei gegebenem Kontrollverlust und anderen Symptomen einer suchtartigen Nutzung in ernsthafte finanzielle Nöte zu bringen, ist diese begrenzende Maßnahme doch grundsätzlich zu begrüßen.

Der Stellenwert der Selbstsperre

Eine weitere wesentliche Neuregelung betrifft das Instrument der Spielersperre. Die Möglichkeit, sich selbst von der Teilnahme an Glücksspielen ausschließen zu können (Selbstsperre), stellt ein ganz zentrales Element des Spielerschutzes dar. Diese Möglichkeit war bereits in den früheren Fassungen des Glücksspielstaatsvertrags gegeben, jedoch wurde sie nun um entscheidende Aspekte erweitert. Das neu definierte Spielersperrsystem sieht vor, dass eine Sperre spielformübergreifend erwirkt wird. Personen, die für sich eine Gefährdung erkannt haben, können im Falle einer erwirkten Sperre also beispielsweise nicht mehr nur in Spielbanken keine Glücksspiele mehr tätigen, sondern sind automatisch auch von Spielhallen, Sportwetten und allen Formen internetbasierter Glücksspiele ausgeschlossen.

Technisch ermöglicht wird dies über eine so genannte zentrale Spielersperrdatei, für welche sich natürlich datenschutzrechtliche Fragen stellen. Inhaltlich ist der Schritt zu begrüßen, eine Sperre nicht wie zuvor nur auf einzelne Spielformen oder gar örtliche Spielstätten zu begrenzen. Ein „Drift“ gefährdeter Personen zu anderen Glücksspielformen ist hierdurch deutlich unwahrscheinlicher als zuvor. Kritisch zu bewerten ist hingegen die Neuregelung hinsichtlich einer Aufhebung der Sperre. Laut Glücksspielstaatsvertrag sind nunmehr keine besonderen Nachweise wie etwa psychologische Gutachten erforderlich, um eine Sperre zu beenden. Begründet wird dieser Umstand damit, dass subjektive Hürden für die Beantragung eine Sperre gesenkt werden sollen und dass darüber hinaus Personen, welche Gutachten über eine etwaige Spielsuchtgefährdung ausstellen, vor möglichen Regressansprüchen geschützt werden sollen.

Grundsätzlich stellt eine externe Einschätzung des Gefährdungspotenzials einer Person eine schwierige Herausforderung dar. Eine bereits bestehende Störung durch Glücksspielen kann natürlich anhand der diagnostischen Kriterien von geschultem Fachpersonal zuverlässig beurteilt werden; eine prognostische Einschätzung im Vorfeld des Vollbildes der Erkrankung (beispielsweise in einem Frühstadium) hingegen ist äußerst anspruchsvoll. Nach Einschätzung des Autors ist dennoch zu bemängeln, dass eine Aufhebung der Sperre fortan ohne externe Einschätzung möglich sein wird. Trotz der oben angeführten Schwierigkeiten der Prognose kann eine externe Beurteilung hilfreich sein, und sei es lediglich, dass sie potenziell gefährdeten Personen die Chance zu einer Reflexion der Beweggründe für ihren Wunsch nach einer Entsperrung bietet.

Ausblick

Schließlich wurde im Glücksspielstaatsvertrag auch beschlossen, eine „Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder“ zu installieren, deren Sitz in Sachsen-Anhalt liegen wird. Als Anstalt des öffentlichen Rechts wird dieser Einrichtung die Aufsicht über die Einhaltung der im Glücksspielstaatsvertrag aufgeführten Regularien obliegen. Auch wird sie dafür zuständig sein, Forschungsaufträge zu vergeben, welche die Auswirkungen der nun beschlossenen Rahmenbedingungen des Glücksspielens auf den Markt und die Bevölkerung betreffen. Dies wird nötig sein, denn bei allem Positiven, was den neuen Glücksspielstaatsvertrag fraglos kennzeichnet, gibt es doch einige Punkte, deren Sinnhaftigkeit sich erst noch bewähren muss. Nur eine unabhängige und objektive Forschung kann perspektivisch zur Klärung dieser Unwägbarkeiten beitragen.

Kontakt:

Dr. Kai W. Müller
kai.mueller@unimedizin-mainz.de

Angaben zum Autor:

Dr. Kai W. Müller, Dipl.-Psychologe, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Forschung & Diagnostik an der Grüsser Sinopoli-Ambulanz für Spielsucht, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz.

Literatur:
  • Meyer, C., Rumpf, H. J., Kreuzer, A., de Brito, S., Glorius, S., Jeske, C., Kastirke, N., Porz, S., Schön, D., Westram, A., Klinger, D., Goeze, C., Bischof, G. & John, U. (2011). Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE): Entstehung, Komorbidität, Remission und Behandlung, Greifswald & Lübeck
  • Müller, K.W. & Wölfling, K. (2020). Glücksspielstörung. Stuttgart, Kohlhammer