Sabine Bösing

Das Selbstkontrolltraining SKOLL

Sabine Bösing

Sabine Bösing

Wer etwas für seinen Rücken tun will, trainiert im Fitnessstudio, wer seine Kondition steigern möchte, geht in eine Laufgruppe. Aber welches Angebot bietet sinnvolle Unterstützung, um besser mit dem eigenen Suchtmittelkonsum oder suchtbezogenen Verhalten umzugehen? Hier hilft das Selbstkontrolltraining SKOLL.

Seit 2006 wird das vom Caritasverband Osnabrück entwickelte SKOLL-Training von Präventions- und Suchtfachkräften in unterschiedlichen Settings (z. B. Schule und Ausbildung, Jobcenter, Betriebe, JVAen, Bewährungshilfe) bundesweit angewendet. SKOLL schließt eine Angebotslücke für die Menschen, die sich zwischen Absichtslosigkeit und Absichtsbildung befinden (Gastpar, Mann, Rommelsbacher 1999) und sich in einer Gruppe darüber klar werden wollen, ob ihr suchtmittelbezogenes Konsum- und Verhaltensmuster schon problematisch ist. Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen (Bruns 2007; Bösing et al. 2012; Görgen, Hartmann 2013) haben die Wirkung dieses Trainings nachgewiesen. Zum Beispiel konnte das Risikoverhalten der Teilnehmenden bei Alkohol im Mittel um bis zu 50 Prozent stabil über mehrere Monate verringert werden. In den letzten zehn Jahren wurden die zahlreichen Erfahrungen der SKOLL-Trainerinnen und -Trainer und die Ergebnisse der Evaluation zur Weiterentwicklung genutzt.

Dieser Artikel verfolgt das Ziel, die Stärken des Trainingsformats für Fachkräfte in der Suchthilfe und die Teilnehmenden herauszuarbeiten. Eingegangen wird deshalb vor allem auf die Besonderheit des Trainings und die Rolle der Trainerin/des Trainers.

Ziele des SKOLL-Trainings

logo-skollDas SKOLL-Selbstkontrolltraining ist ein Programm für den verantwortungsvollen Umgang mit Suchtmitteln und anderen Suchtphänomenen. Es richtet sich an Jugendliche und Erwachsene mit riskantem Konsumverhalten. Die Grundlagen bilden die Prinzipien der Motivierenden Gesprächsführung (Miller & Rollnick 1999), das Selbstmanagement aus dem Bereich der Kognitiven Verhaltenstherapie (Kanfer, Reinecker, Schmelzer 1996), die Grundidee des Empowerments, bewährte psychoedukative Verfahren im Rahmen von Suchtprävention und die interaktionelle Methode zur Steuerung der Gruppendynamik.

SKOLL umfasst zehn Trainingseinheiten à 90 Minuten im wöchentlichen Rhythmus. Dabei werden die jeweiligen Ziele der Teilnehmenden erfasst, es wird ein individueller Trainingsplan erstellt und das Wahrnehmen von Risikosituationen geübt. Die Teilnehmenden erlernen hilfreiche Gedanken sowie einen gesundheitsförderlichen Umgang mit Stress, Konflikten und Rückschritten. Gemeinsam werden Möglichkeiten der Gestaltung von Beziehungen und Freizeit sowie stabilisierende Rituale erarbeitet.

Aufbau und Inhalte des Trainings

„Menschen lassen sich viel eher durch Argumente überzeugen, die sie selbst entdecken, als durch solche, auf die andere kommen.“ (Blaise Pascal) Das Zitat von Blaise Pascal drückt einen wesentlichen Leitgedanken des SKOLL-Programms aus. SKOLL zeichnet sich durch folgende Inhalte und Merkmale aus:

1.  Es ist ein Training – keine Behandlung oder Therapiegruppe. Krisen, biografische Themen oder gar traumatische Lebenssituationen können hier nicht bearbeitet werden. Das Training ermöglicht den Teilnehmenden, neugierig auf sich selbst zu werden, Angebote zur Bearbeitung ihrer Themen in der Gruppe als hilfreich anzunehmen und sich von anderen inspirieren zu lassen.

2. Das Training steht allen offen, die in einer Gruppe ihre Konsum- und Verhaltensformen reflektieren wollen. Dabei spielen Alter, Geschlecht, Konsummittel und/oder Verhaltensform keine Rolle. Im Gegenteil, je heterogener die Gruppenzusammensetzung, desto lebendiger die Gruppe und desto stärker die Wirkung für die Einzelne und den Einzelnen. Das verbindende Element ist der Wunsch, einen Umgang mit der problematischen Situation zu finden, die durch den Konsum von Suchtmitteln oder eine Verhaltensform ausgelöst wurde. Die unterschiedlichen Lebensphasen und Lebenserfahrungen der Teilnehmenden offenbaren einen Pool an Ressourcen und Kompetenzen, der das Training bereichert.

3. Die Durchführung des Trainings basiert auf einem strukturierten Manual. Es gibt so genannte Kernelemente, die sich in allen Trainingsmodulen wiederholen. Diese Kernelemente sind:

  • Trainingsplan: Er wird in der zweiten Trainingseinheit erstellt und ist sehr individuell gestaltet. Zur Festlegung der Ziele werden die SMART-Kriterien (Spezifisch, Messbar, Akzeptabel/Angemessen, Realistisch, Termingebunden) verwendet.
  • Treppe zum Ziel: Sie dient zur Sicherung der Erkenntnisse in den jeweiligen Einheiten. Die Teilnehmenden können auf Arbeitsblättern mit symbolisierten einzelnen Treppenstufen – entsprechend der Module – ihren ganz persönlichen Prozess während des Trainings festhalten.
  • Dokumentation: Sie ist ein wichtiges Hilfeinstrument zur Selbstkontrolle, weil damit die Erreichung des eigenen Vorhabens kontrolliert wird.
  • Situationsanalyse: Mit der Analyse erlebter Situationen können die eigenen Veränderungsmöglichkeiten besser erkannt und Risikosituationen besser gemeistert werden.

Die Teilnehmenden können mit ihrem Risikoverhalten experimentieren, alternative Verhaltensweisen einüben, neue Erfahrungen sammeln, sich selbst beobachten lernen, alltägliche Situationen analysieren, Gefühle benennen und Gedanken identifizieren – kurz: ihr eigenes Verhalten kritisch wahrnehmen. Durch den Einsatz der Kernelemente in jeder Trainingseinheit kommt es zu einer Verinnerlichung wirksamer Verhaltensänderungen. Damit wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Veränderungen auch im Alltag umgesetzt werden.

4. Die Teilnehmenden legen ihre Ziele selbst fest. Die Trainerin/der Trainer und die Gruppe begleiten und bestärken die Einzelne/den Einzelnen dabei. Die Arbeit in der Gruppe orientiert sich an den persönlichen Zielen der Teilnehmenden. So kann es z. B. ein legitimes Ziel sein, keinen Ärger mit dem Jobcenter zu haben oder mit der Freundin. Andere kommen mit der Absicht zu überprüfen, ob sich der Alkoholkonsum noch in einem ‚normalen Rahmen‘ befindet. SKOLL hilft bei der Zielerreichung durch ein gesundheitsbezogenes Selbstmanagement und allgemeine Problemlösungsfertigkeiten. Dadurch erhöht sich die Kontrolle über das Risikoverhalten, und die Gesundheit der Teilnehmenden verbessert sich. SKOLL ist deshalb für unterschiedlich motivierte Teilnehmende geeignet und wirksam.

5. Die Trainerinnen und Trainer werden in einem mehrtägigen Seminar geschult und bei Bedarf begleitet. Zur kontinuierlichen Durchführung des Trainings werden Tandems gebildet. Im Fokus der Trainerschulung stehen die handlungsorientierte Vermittlung der einzelnen SKOLL-Module sowie die Einübung einer akzeptierenden Grundhaltung. Bei der Gestaltung der Trainingseinheiten gibt es ausreichend Raum, um die jeweils eigenen fachlichen Ressourcen und Kompetenzen miteinzubringen.

Die Rolle der SKOLL-Trainerin/des SKOLL-Trainers

Hier einige Aussagen von Trainerinnen und Trainern:

„Für mich war das Schwierigste, mich zurückzunehmen, meine Trainerrolle zu finden, doch dann stellte ich fest, dass der Austausch innerhalb der Gruppe sehr spannend ist und eine große Gruppendynamik entsteht.“
„Es hat auch was Erfrischendes.“
„Das Training birgt viel Abwechslung, davon profitieren eigentlich alle.“

Aufgaben der Trainingsleitung:

1. Die Trainerinnen bzw. Trainer schreiben die Inhalte und die Struktur des Trainings vor. Sie sind die ‚Impulsgeber‘ für die Teilnehmenden und fördern die Interaktion in der Gruppe. Das Training bezieht seine Stärke aus dieser lebendigen Interaktion. Umso mehr sich die Trainingsleitung auf ihre beobachtende und impulsgebende Rolle zurückzieht, umso mehr kann zwischen den Teilnehmenden geschehen. Dabei sind es oft kleine Erkenntnisgewinne, die große Wirkung entfalten.

2. Bei Verstößen gegen die Gruppenregeln, die von den Teilnehmenden im Rahmen der Gruppendynamik nicht eigenständig korrigiert werden können, obliegt der Trainerin/dem Trainer die Aufgabe der Intervention.

3. Um Über- und Unterforderungen zu vermeiden, ist ein offener Blick für die individuellen Ressourcen und Bedürfnisse wichtig, um ggf. durch Aufgabenverteilung eine Ausgewogenheit herzustellen.

4. Die Trainingsleitung stärkt die positiven Veränderungen und trägt wertfrei die als Teil des Prozesses zu akzeptierende Stagnation bzw. auch Rückschritte mit.

Die wichtigsten Faktoren für die Gestaltung der Beziehung der Trainerin/des Trainers zu den Teilnehmenden sind Empathie, Wertschätzung und gegenseitiges Vertrauen. Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit der Teilnehmenden werden stets betont. Selbstheilungskräfte, vorhandene Ressourcen, gesunde Verhaltensmuster und Bewältigungsstrategien werden gefördert und genutzt.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die SKOLL-Trainerin/der SKOLL-Trainer ein förderndes Klima für die Teilnehmenden schafft, damit diese selbstbestimmt handeln, eigene Ziele festlegen und eine eigene Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen treffen können. Jede/jeder trainiert die eigenen Stärken und Fähigkeiten, um wieder die Macht zu spüren, die eigene Geschichte beeinflussen zu können.

Die SKOLL-Fachkräfte verstehen sich als ‚Verbündete‘ der Teilnehmenden, ohne vorzugeben, die richtige Methode, die zum Ziel führt, zu kennen. Für die erfolgreiche Implementierung von Trainings in den unterschiedlichen Institutionen ist es notwendig, dass diese Haltung nicht nur von den Trainerinnen und Trainern getragen wird, sondern auch von der dortigen Leitung und dem Team.

Die Verbreitung von SKOLL

Der Transfer des Trainings erfolgte bisher durch die Etablierung in seinem ursprünglichen Kontext der Suchthilfe und erfuhr dann eine Ausweitung in weitere Bereiche wie z. B. Schulen, Job-Center und die Wohnungslosenhilfe. Unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Qualitätssicherung wurden erfahrene SKOLL-Trainerinnen und -Trainer zu SKOLL-Lehrtrainerinnen und -Lehrtrainern geschult. So können bundesweite Schulungen angeboten werden. Die Lehrtrainerinnen und -trainer  erfüllen das notwendige Qualifikationsprofil, um das evidenzbasierte Manual, die in der Fläche nachgewiesenen Wirkfaktoren und die daraus erstellten Qualitätsstandards weiterzuvermitteln.

logo-skoll-spezialEine Weiterentwicklung des bewährten SKOLL-Konzepts stellt SKOLL-SPEZIAL dar. SKOLL-SPEZIAL ist ein Angebot für Menschen, die sich gezielt mit Alkohol und Nikotin auseinandersetzen möchten. Das Training wurde von der Zentralen Prüfstelle Prävention der GKV als Maßnahme nach § 20 SGB V anerkannt. Die Kosten für die Teilnahme können bei den Krankenkassen abgerechnet werden.

Die letzte wissenschaftliche Untersuchung (Görgen, Hartmann 2013) zeigte, dass SKOLL nicht nur als Intervention bei Menschen mit substanz- und verhaltensbezogenen Problemlagen Nutzen bringt. Auch die Fachkräfte selbst – aus der Sucht- und Drogenhilfe, aber auch aus angrenzenden Arbeitsfeldern – profitieren von der Ausbildung zu SKOLL-Trainerinnen und -trainern. Die Ausbildung enthält hohe Anteile selbstreflexiver Elemente, die geeignet sind, das eigene Selbstverständnis, die verfolgten Ziele und angewendeten Methoden zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.

So gilt es, SKOLL-Trainings in den unterschiedlichen Settings weiter zu implementieren, mehr motivierte Trainerinnen und Trainer zu finden und das SKOLL-Programm damit zu einem flächendeckenden, entstigmatisierenden Angebot in der Suchtprävention und Frühintervention zu machen.

SKOLL und SKOLL-SPEZIAL wurden entwickelt vom Caritasverband für die Diözese Osnabrück e. V. Weitere Informationen zum Training und zu Schulungen sind unter www.skoll.de zu finden.

Kontakt:

Sabine Bösing, Berlin
s.boesing@gmx.net

Angaben zur Autorin:

Sabine Bösing ist Diplom-Sozialpädagogin, Suchttherapeutin (DRV-anerkannt), systemische Coachin und Beraterin für Organisationsentwicklung/Changemanagementprozesse. Sie hat langjährige Erfahrung in der Entwicklung und Umsetzung von Landes- und Bundesprogrammen zur Prävention und Gesundheitsförderung und war Bundesmodellkoordinatorin von SKOLL. Heute ist sie als Referentin beim Paritätischen Wohlfahrtsverband tätig und als freie Trainerin und Ausbilderin für SKOLL, SKOLL-SPEZIAL und zum Thema Empowerment.

Literatur:
  • Bösing, S., Kliche, T., Tönsing, C. (2012): Transfer und Evaluation des SKOLL-Selbstkontrolltrainings in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung von Wirksamkeit, Umsetzung und Versorgungsaspekten, insbesondere im ländlichen Raum (Abschlussbericht 2012, Caritasverband für die Diözese Osnabrück e. V.).
  • Bruns, B. (2007): SKOLL – SelbstKOntroLL-Training. Eine Studie zur Effektivität des Frühinterventionsmodells bei substanz- und verhaltensbezogenen Störungen im Auftrag des Deutsch-Niederländischen Suchthilfeverbundes. Fachhochschule Norddeutschland, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Osnabrück.
  • Gastpar, M. H., Mann, K. H., Rommelspacher, H. H. (1999): Lehrbuch der Suchterkrankungen. Stuttgart, New York.
  • Görgen, W., Hartmann, R. (2013): Befragungen im Rahmen einer nachhaltigen Qualitätssicherung des SKOLL-Selbstkontrolltrainings im Zusammenhang seiner flächendeckenden Umsetzung. FOGS, Gesellschaft für Forschung und Beratung im Gesundheits- und Sozialbereich, Köln.
  • Kanfer, F. H., Reinecker, H., Schmelzer, D. (1996): Selbstmangement-Therapie. Ein Lehrbuch für die klinische Praxis. Berlin.
  • Kliche, T., Boye, J., Griebenow, B., Richter, S. (2009): Bundesmodellprojekt SKOLL: Evaluation eines übergreifenden Trainingsprogramms bei riskantem Konsum von Suchtmitteln. Erste Befunde zur Umsetzung aus der Nutzerbefragung 2008-09. Unveröffentlichtes Manuskript.
  • Miller, W., Rollnick, S. (1999): Motivierende Gesprächsführung. Ein Konzept zur Beratung von Menschen mit Suchtproblemen. Freiburg.
  • Petermann, M. (2010): Möglichkeiten und Grenzen von Selbstmanagement im Rahmen ambulanter Suchtberatung und -behandlung unter besonderer Berücksichtigung des Selbstkontrolltrainings (SKOLL). Diplomarbeit an der Berufsakademie Sachsen, Staatliche Studienakademie Breitenbrunn.