Martin Voigt

Mädchen im Netz

Berlin, Heidelberg: Springer 2016 (bereits erschienen), 235 S., ISBN 978-3-662-47034-3, EUR 14,99, auch als E-Book erhältlich

Voigt_Mädchen im NetzOb zu Hause, auf dem Pausenhof, eigentlich überall: Vor allem junge Mädchen scheinen mit ihrem Smartphone verwachsen zu sein. Von früh bis spät sind sie dabei, ihren persönlichen Auftritt zu polieren und Kontakt zur Clique zu halten. Die Freundschaft zur ‚abf‘ – ihrer allerbesten Freundin – wird in den sozialen Netzwerken besonders emotional inszeniert. Hübsch aussehen und beliebt sein sind die zentralen Identitätsbausteine. Warum zieht sich dieses Verhaltensmuster so übertrieben durch eine ganze Mädchengeneration? Trifft die ‚normale Pubertät‘ auf moderne Medien, oder steckt mehr dahinter? Der Jugendforscher Martin Voigt geht in seinem Buch diesen Fragen auf den Grund.

„Vor allem Mädchen zwischen 12 und 16 legen in teilweise exzessivem Ausmaß Wert auf ihre Selbstdarstellung auf Facebook und Co – unentwegt werden Selfies hochgeladen und Liebesschwüre zwischen befreundeten Mädchen geteilt,“ erklärt Martin Voigt. Likes und Kommentare zum neuen Selfie – „süßee du bist sooo hüübsch !!“ – sind die Gradmesser für Beliebtheit, vor allem in den unteren Jahrgangsstufen. Nach Ansicht des Jugendforschers steht hinter dem Überschwänglichen die Angst, in der Gleichaltrigengruppe an den Rand zu geraten. „Kommen Sie nicht auf die Idee, einer 14-Jährigen das Handy wegzunehmen. Der dauerhafte Kontakt zu ihren Freundinnen ist Rückversicherung und emotionale Basis im langen Schulalltag“, erklärt Voigt, der soziale Medien nicht als einzigen Grund für diese Dramatisierung sieht: „Sie sind lediglich Bühnen und als solche kaum für die Ich-Entwürfe der Teenager verantwortlich.“

Wer sich mit kritischen Fragen der Lebenswelt von Teenagern nähert, dem begegnet manchmal der Vorwurf, er reite auf der Welle der „Moral Panic“. Dennoch fragt Voigt, wie es Kindern geht, die von klein auf in Ganztagseinrichtungen ‚wegorganisiert‘ werden und mehr unter Gleichaltrigen sind als zu Hause. Im steten Bezug auf die psychologische Bindungsforschung untersucht Voigt die familiäre Erosion, die zunehmende Gleichaltrigenorientierung und den vielschichtigen Begriff „Sexualisierung“ als weitere Ursachen neben den neuen Medien. Anhand umfangreicher Korpusmaterialien belegt der Jugendforscher Anzeichen für das Verhalten unsicher gebundener Kinder, die bereits zu standardisierten Mustern geworden sind. Deutschlandweit zu beobachtende Beschwörungen und Verlustängste wie „nie wieder ohne dich“, „ich liebe dich sooo sehr“, i“ch will dich niiiee niieee wieder verlieren“ in den Online-Gästebüchern allerbester Freundinnen sieht Voigt nicht nur als modernes Ausgestalten von Freundschaften, sondern auch als Ausdruck mangelnder emotionaler Zuwendung und Bestätigung in der Kindheit.