Vertrauen ist Kopfsache

Eine intakte basolaterale Amygdala ist notwendig, um einer Person Vertrauen zu schenken. Zu diesem Ergebnis kam ein Team von Psycholog*nnen um Lisa Rosenberger und Jack van Honk. In einer neuen Studie erforschten sie die Vertrauensbildung von Patientinnen mit dem seltenen Urbach-Wiethe-Syndrom, das durch Verkalkungen von Teilen des Gehirns gekennzeichnet ist. Die Ergebnisse sind wegweisend für personalisierte Behandlungsmethoden von psychischen Erkrankungen und erscheinen aktuell in „Current Biology“.

Vertrauen ist ein Grundbaustein für unsere Beziehungen mit anderen. Naives Vertrauen führt zu Ausbeutung; extremes Misstrauen manifestiert sich in psychischen Erkrankungen wie der paranoiden und der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Eine genaue Identifizierung der Bausteine des Gehirnnetzwerks, das die Vertrauensbildung reguliert, ist notwendig, um neue medizinische Behandlungen entwickeln zu können.

Die Forscher*innen untersuchten Patientinnen mit dem Urbach-Wiethe-Syndrom. Dieses ist eine genetisch bedingte, äußerst seltene Krankheit mit weltweit nur ungefähr 100 bekannten Fällen, von denen ein Großteil in Südafrika vorkommt. Für das Forschungsprojekt hat das Team dort bei fünf Patientinnen Daten erhoben. Die Gehirnschädigungen der Patientinnen sind ausschließlich auf eine Teilregion der Amygdala, die so genannte basolaterale Amygdala, beschränkt – eine solche spezifische Gehirnschädigung ist einzigartig in der menschlichen Hirnforschung.

In der Studie wurde ein Verhaltensexperiment durchgeführt – das so genannte Vertrauensspiel, bei dem die Teilnehmerinnen bei ökonomischen Interaktionen lernen, dass einer großzügigen Mitspielerin zu vertrauen ist und einer selbstsüchtigen Mitspielerin nicht. Die Urbach-Wiethe-Patientinnen mit der basolateralen Amygdala-Schädigung konnten das nicht lernen und haben sowohl die großzügige als auch die selbstsüchtige Mitspielerin gleichbehandelt.

„Wir haben mit Hilfe von Kontrollmessungen gezeigt, dass die Schädigung der basolateralen Amygdala – und nicht etwa allgemeine Lernprobleme oder der sozioökonomische Status – für die Defizite bei der Vertrauensbildung der Probandinnen verantwortlich ist“, sagt Rosenberger. Durch die defekte basolaterale Amygdala wurden Informationen über die Vertrauenswürdigkeit der Mitspielerinnen nicht an die notwendigen Regionen des involvierten Gehirnnetzwerks weitergeleitet, wodurch die Patientinnen ihr Vertrauen gegenüber den Mitspielerinnen nicht verändern konnten.

Die Ergebnisse der Studie erweitern die Kenntnisse über das Gehirnnetzwerk und die Mechanismen der Vertrauensbildung. Das ist eine wichtige Basis für die Entwicklung moderner, personalisierter Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Störungen mit Vertrauensdefiziten. Gleichzeitig bestätigen die Ergebnisse, dass die Amygdala nicht als eine uniforme Gehirnregion betrachtet werden sollte, sondern dass Teilregionen unabhängige Funktionen haben.

Originalpublikation in „Current Biology“:
Lisa A. Rosenberger, Christoph Eisenegger, Michael Naef, David Terburg, Jorique Fourie, Dan Stein und Jack van Honk (2019). The human basolateral amygdala is indispensable for social experiential learning. Current Biology. DOI: 10.1016/j.cub.2019.08.078

Die Studie wurde im Rahmen des WWTF-Projekts „The neurobiology of belief updating during dynamic social interaction“ und eines Marietta-Blau-Stipendiums durchgeführt.

Pressestelle der Universität Wien, 11.10.2019