Versteckte synthetische Cannabinoide für die E-Zigarette

Die „Aufsuchende Suchtberatung Maintal“ berichtet, dass seit ca. zwei Jahren gehäuft Klient*innen in die Beratung kommen, die so genannte CBD-Liquids mit der E-Zigarette konsumiert haben. CBD ist die Abkürzung für den Cannabiswirkstoff Cannabidiol, dem im Gegensatz zu Tetrahydrocannabinol (THC) keine berauschende, aber eine antipsychotische, beruhigende Wirkung zugesprochen wird. Die Klient*innen der Suchtberatung Maintal zeigten aber starke Entzugssymptome, wenn sie keine „CBD“-Liquids konsumierten. Es stellte sich heraus, dass den „CBD“-Liquids synthetische Cannabinoide mit berauschender Wirkung beigemischt waren und sie somit auch abhängig machen können. Um für diese versteckte Gefahr zu sensibilisieren und den Weg in weiterführende Hilfen zu erleichtern, schildert die Aufsuchende Suchtberatung Maintal folgendes Fallbeispiel:

Vor zwei Jahren war der erste Fall in der Aufsuchenden Suchtberatung Maintal vorstellig: ein Jugendlicher, der nach dem eigenständigen Absetzen von „CBD“-Liquid, das er in der E-Zigarette dampfte, massive Entzugssymptome zeigte. Leon (Name von der Autorin geändert) war zum damaligen Zeitpunkt 14 Jahre alt. Er erzählte, dass er vor zwei Jahren angefangen hatte, Cannabis zu konsumieren, jedoch – wie er stolz ergänzte – den Ausstieg vor einem Jahr geschafft hatte. Ihm hatte ein anderer Teenager „CBD“-Liquid zum Dampfen angeboten. CBD war zu diesem Zeitpunkt sehr populär, da die ersten CBD-Shops eröffnet wurden. Das wusste auch Leon. Dass das von ihm in der E-Zigarette gedampfte „CBD“-Liquid eine sehr starke Rauschwirkung hatte und er schnell immer mehr konsumierte, blendete er aus. So hielt er an dem Glauben seines „Ausstiegs“ aus dem Cannabiskonsum fest, obwohl der Grund für den Kontakt zur Aufsuchenden Suchtberatung Maintal zunehmende Entzugssymptome waren.

Sensibilisierung für die Substanz

Durch das Testen des Liquids über das Projekt „Legal High Inhaltsstoffe“ konnte herausgefunden werden, dass es das damals am meisten verbreitete synthetische Cannabinoid 5F-MDMB-PICA enthielt.

In weiteren Gesprächen erzählte Leon, dass sich dieses Liquid in seinem Umkreis immer mehr verbreitete. Es wird von den Dealern als „legale und unschädliche“ Alternative zu Cannabis angepriesen. Auch der Konsum mittels E-Zigarette ist als schadensreduzierte Konsumform bekannt, und so seien wohl deshalb auch viele seiner Freunde auf diese Alternative umgestiegen. Da dieses Liquid zunächst nur Vorteile versprach, wurden erste markante Nebenwirkungen wie das nächtliche Schwitzen erst einmal ignoriert.

Synthetische Cannabinoide sind keine Neuerscheinung. Unter dem Namen „Spice“ wurden sie vor knapp 15 Jahren als „Kräutermischungen“ verkauft. Der große Unterschied zu dem Konsumtrend von damals ist jedoch, dass Konsument*innen beim Kauf von „Spice“ im Regelfall wussten, dass es sich um synthetischen Cannabinoide handelte. Nun werden diese Substanzen jedoch unter irreführendem Namen mit falschen Versprechungen gehandelt. Das sorgt dafür, dass Konsument*innen unwissend eine Substanz konsumieren, die starke Risiken mit sich bringt.

Synthetische Cannabinoide wirken deutlich stärker als herkömmliches Cannabis. Sie ahmen das Wirkspektrum von Cannabis nach und erzeugen eine beruhigende Wirkung, ein Zufriedenheitsgefühl und euphorische Gefühle. Darüber hinaus werden Wahrnehmungen wie Farben und Geräusche intensiviert – oder wenn man es in Leons Worten auszudrücken möchte, erzeugen sie eine „Ultra HD 4K-Ansicht“. Liquids werden jedoch oft von den Dealern zu Hause „zusammengemischt“. Das bedeutet, dass die Konzentration in den Liquids stark variieren kann und es somit sehr schwierig ist, sich auf eine Wirkung einzustellen. Darüber hinaus gibt es sehr viele verschiedene synthetische Cannabinoide, die von einander stark abweichende und damit unberechenbare Wirkungen erzeugen können.

Synthetische Cannabinoide machen sowohl körperlich als auch psychisch stark abhängig, es besteht die Gefahr von tödlichen Überdosierungen und Psychosen. Aber auch Kreislaufprobleme, Schweißausbrüche, Übelkeit, Krampfanfälle und Herzrasen stehen auf der langen Liste der Nebenwirkungen. Auch „legal“ sind synthetische Cannabinoide schon lange nicht mehr. Mit dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) wurde diese Stoffgruppe illegalisiert.

Leon fiel es sehr schwer, für sich zu akzeptieren, dass seine Entzugssymptome von einer Abhängigkeitserkrankung herrührten und sein Ausstieg aus dem Cannabiskonsum ihn in eine viel stärkere Abhängigkeit geführt hat.

Stationärer Entzug mit „cleanem“ Urin

Nach mehreren Gesprächen äußerte Leon den Wunsch, wie vorgeschlagen eine stationäre Entgiftung zu machen. Dies führte überraschend zu einer neuen Herausforderung, da synthetische Cannabinoide nicht so einfach nachweisbar sind wie andere Substanzen. Nicht jedes Labor kann diesen Nachweis durchführen, so dass es zu zeitlichen Verzögerungen kommt, bis ein Ergebnis vorliegt. Der positive Drogentest bei Aufnahme in die stationäre Entgiftung ist jedoch die Grundlage einer Kostenzusage. So wird die Aufnahme von Minderjährigen, die ausschließlich synthetische Cannabinoide konsumieren, erst einmal erschwert.

Inzwischen wurden mehrere Entgiftungen in Hessen kontaktiert und über diese neue Problematik informiert. Die meisten haben sich optimistisch geäußert, dass für diese Fälle eine Lösung gefunden wird. Hier gilt es sicher auch, mehr Erfahrungen mit dem noch recht neuen Phänomen zu sammeln.

Bei Überweisungen von volljährigen Klient*innen mit dem ausschließlichen Konsum von synthetischen Cannabinoiden haben sich bis dato keine Probleme ergeben. Nach mehreren Gesprächen mit der Entgiftung konnte auch Leon seine Behandlung mit einer kleinen Verzögerung antreten und befindet sich inzwischen in einer stationären Entwöhnung.

Öffentlichkeitsarbeit

Nach Leon häuften sich die Fälle mit einer ähnlichen Geschichte. Die ersten Beratungsgespräche, die mit viel Psychoedukation einhergingen, waren oft geprägt von viel Scham. Die Betroffenen schämten sich v. a. dafür, die Warnzeichen, die darauf hindeuteten, dass es sich bei dem Liquid nicht um „harmloses“ CBD handelte, so lange ignoriert zu haben.

Diese Fälle nahmen wir zum Anlass, vor Ort mehr Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. In Jugendzentren wurden Informationsplakate aufgehängt und ein Artikel in der lokalen Presse veröffentlicht. Auch Arbeitskreise wurden vermehrt dazu genutzt, das Thema zur Diskussion zu stellen.

Inzwischen sind Liquids mit synthetischen Cannabinoiden unter verschiedenen Szenenamen bekannt, wie zum Beispiel „Django“ oder „Ballerliquid“. Die Unwissenheit, um welche Substanz es sich eigentlich handelt, ist bei den Konsument*innen jedoch weiterhin groß.

Für uns als professionelle Kräfte des Suchthilfesystems ist es somit umso wichtiger, informiert zu bleiben und den Konsument*innen psychoedukativ und unterstützend zur Seite zu stehen.

Stefanie Bötsch (B.A. Soziale Arbeit), Aufsuchende Suchtberatung Maintal, Jugendberatung und Jugendhilfe e.V., März 2021