Auswertung am Institut für Rechtsmedizin München über die Jahre 2014 bis 2020
Die bunt verpackten Kräutermischungen sehen meist harmlos aus. Doch der Konsum der darin enthaltenen synthetischen Cannabinoide kann lebensbedrohliche Folgen haben, wie Autopsien von Todesfällen im Raum München belegen.
Im Jahr 2008 sorgte die Kräutermischung Spice für Aufsehen. Die Wissenschaft rätselte zunächst, was in den Kräutermischungen enthalten ist. Geraucht wirkte es ähnlich wie Cannabis. Allerdings konnte kein bekannter Cannabiswirkstoff nachgewiesen werden. Ein Labor aus Frankfurt konnte schließlich den Nachweis erbringen, dass die Wirkung von synthetischen Cannabinoiden ausgeht, die auf die Kräuter gesprüht wurden.
In unserem Körper binden synthetische Cannabinoide an den Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems. Das tun sie allerdings bis zu 100-mal stärker als pflanzlicher Cannabis. Synthetische Cannabinoide entfalten dadurch eine deutlich intensivere Wirkung. Damit steigt auch die Gefahr für lebensbedrohliche Folgen, wie eine Forschungsgruppe aus München und Freiburg in einer Studie nachweisen konnte. Für ihre Studie analysierten Studienleiter Olwen Groth und sein Team Todesfälle, bei denen synthetische Cannabinoide als Ursache vermutet wurden.
98 Todesfälle im Zusammenhang mit synthetischen Cannabinoiden
Zwischen 2014 und 2020 wurden mehr als 15.000 Autopsien am Institut für Rechtsmedizin an der Medizinischen Fakultät der LMU München durchgeführt. Bei über 800 Todesfällen bestand der Verdacht, dass synthetische Cannabinoide eine Rolle gespielt haben könnten. In 98 Fällen konnte dieser Verdacht durch toxikologische Untersuchungen bestätigt werden. Die Verstorbenen waren im Durchschnitt 36 Jahre alt, 92 Prozent waren männlich.
Häufigste Todesursache war der Mischkonsum mit anderen Drogen und Alkohol. Nach Einschätzung der Forschenden spielten synthetische Cannabinoide bei mehr als der Hälfte der Todesfälle eine ursächliche Rolle. Bei etwa jedem vierten Fall trugen sie vermutlich zum Todesgeschehen bei. In 14 Prozent der Fälle konnten synthetische Cannabinoide als alleinige Todesursache ausgemacht werden.
„Wundertüten“ bergen unvorhersehbare Risiken
Das Gefährliche an synthetischen Cannabinoiden ist: Die Produkte sind wie „Wundertüten“, allerdings mit potenziell lebensgefährlichem Inhalt. So konnten in den toxikologischen Untersuchungen 41 verschiedene synthetische Cannabinoide nachgewiesen werden. Frühere Untersuchungen konnten zudem zeigen, dass auch die Wirkstoffkonzentration innerhalb einer Packung teils unterschiedlich verteilt ist. Konsumierende können sich somit nie sicher sein, was sie konsumieren.
Ein positives Ergebnis konnte die Studie dennoch liefern: Nachdem im November 2016 das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) in Kraft getreten ist, ist die Zahl der Todesfälle durch synthetische Cannabinoide deutlich zurückgegangen. Das neue Gesetz bezieht sich, anders als das Betäubungsmittelgesetz, nicht auf einzelne Substanzen, sondern auf Stoffgruppen. Damit soll verhindert werden, dass durch kleine Veränderungen in der chemischen Struktur einer Droge eine neue Substanz entsteht, die nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt und damit legal ist. Seitdem ist der Umgang mit jeglichen synthetischen Cannabinoiden verboten.
Originalpublikation:
Groth, O., Roider, G., Angerer, V., Schäper, J., Graw, M., Musshoff, F., & Auwärter, V. (2023). „Spice“-related deaths in and around Munich, Germany: A retrospective look at the role of synthetic cannabinoid receptor agonists in our post-mortem cases over a seven-year period (2014-2020). International journal of legal medicine, 137(4), 1059–1069. https://doi.org/10.1007/s00414-023-02995-2
Quelle: https://www.drugcom.de/, 26.7.2023