Streetwork im Netz

Katrin Bahr (Condrobs), Beatrix Zurek (Leitung Gesundheitsreferat der Landeshauptstadt München), Burkhard Blienert (Drogenbeauftragter), Frederik Kronthaler (Condrobs), Dr. Niklas Müller (Ministerium) (v.l.n.r.); Fotocredit: Condrobs

Digitale Streetwork ist ein aufstrebendes, sich in der Pionierphase befindendes Arbeitsfeld, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Prinzipien der traditionellen aufsuchenden Arbeit in die digitale Welt zu übertragen, um junge Menschen – insbesondere Suchtmittelkonsumierende –, dort zu erreichen, wo sie sich im digitalen Raum aufhalten, ist eine neue wichtige Aufgabe der Sozialen Arbeit. Rund 200 Teilnehmer:innen waren gespannt, welche Erkenntnisse sie beim „Fachtag Streetwork im Netz“ erwarten würden. Der Fachtag fand am 20.03.2023 in der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern statt und wurde von Condrobs e. V. und dem Fachverband Drogen- und Suchthilfe e. V. (fdr+) veranstaltetet.

Eröffnung

Eingeleitet wurde die gut besuchte Veranstaltung mit Grußworten von Condrobs-Geschäftsführer Frederik Kronthaler, Condrobs-Vorständin Katrin Bahr im Namen des fdr+, dem Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, Dr. Niklas Müller vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege und Verena Dietl, 3. Bürgermeisterin der Landeshauptstadt München (Letztere per Videobotschaft).

Junge Menschen im (post-)digitalen Raum

Dr. Niels Brüggen, Leiter der Abteilung Forschung am JFF-Institut für Medienpädagogik, gab Einblicke in die Welt junger Menschen im (post-)digitalen Raum. Er erklärte, wie Jugendliche digitale Räume nutzen und was in diesen kommuniziert wird. Die Erläuterungen der Funktion von Algorithmen und ihre Bedeutung für die Sichtbarkeit und Wahrnehmung von Inhalten sind für die digital aufsuchende Sozialarbeit wichtige Wissengrundlagen für ihren Auftritt im digitalen Raum. Sowohl Handlungsnotwendigkeiten als auch Perspektiven und Herausforderungen, die sich daraus für die pädagogische Arbeit ergeben, wurden deutlich.

Die Technologie bestimme längst Kommunikation und soziale Interaktion. Junge Menschen informieren sich zunächst über soziale Netzwerke und Plattformen, Medien wie Fernsehen sind weit abgeschlagen. Dabei bestimmen Algorithmen, die vom bisherigem Nutzer:innenverhalten „gefüttert“ sind, welche Informationen aktiv angeboten werden.

Brüggen führte aus, es entstehe eine neue Art von Umgebung, in der junge Menschen interagieren und kommunizieren. Damit Soziale Arbeit und pädagogische Angebote im Netz sichtbar und zugänglich seien, sei ein tieferes Verständnis erforderlich, wie junge Menschen Technologie nutzen und welche Kommunikationsmuster sie haben. Um Angebote zu schaffen, die für die Zielgruppe relevant und ansprechend sind, sei Voraussetzung, Motivationen und Interessen der Zielgruppe zu verstehen.

Condrobs-Projekt Streetwork im Netz – konkrete Umsetzung

Zentraler Inhalt des Fachtags war das Condrobs-Projekt Streetwork im Netz. Die Condrobs-Projektverantwortlichen Svenja Schürmann und Patrick Hey gaben Einblick in die konkrete Umsetzung der digital aufsuchenden Arbeit mit der Zielgruppe suchtmittelkonsumierender und gefährdeter junger Menschen. Die Daten zu Anzahl und Altersstruktur der erreichten jungen Menschen zeigen, dass das digitale Aufsuchen gelingt. Zentral ist die Vermittlung in weiterführende Hilfen.

Die Prinzipien der Streetwork wie Niedrigschwelligkeit, Transparenz und Freiwilligkeit (um nur einige zu nennen) werden konsequent auch in der digitalen Streetwork angewendet. Die angesprochenen User:innen auf den Plattformen schätzen u. a., dass sie sich anonym an die Streetworker:innen wenden können und im Kontakt Wertschätzung statt Stigmatisierung erfahren. Neben der Beratung und Vermittlung in Hilfen gehen die Streetworker:innen auch auf mögliche Konsumrisiken ein und geben Safer-Use-Tipps.

Die aktuelle Finanzierung des Projektes umfasst eine Stelle und läuft im Mai aus. Die immer wieder unzureichenden und befristeten Finanzierungen, mit denen das Condrobs-Projekt seit Projektbeginn 2018 kämpft, erlauben bislang keine größeren Entwicklungsschritte. Insgesamt muss politisch anerkannt werden, dass sich Soziale Arbeit den Aufgabenfeldern im Internet, das als Lebenswelt (junger) Menschen verstanden werden muss, umfassender, strukturiert und mit der erforderlichen Ausstattung widmen muss. Die Ausstattung muss langfristige und strategische Planungen und Umsetzungen ermöglichen. Hierfür sind entsprechende Anpassungen auch in Bezug auf Förderrichtlinien nötig, die bislang längerfristige Förderungen verhindern.

Condrobs-Projekt Streetwork im Netz – Ergebnisse der Begleitforschung der TH Nürnberg

Die Ergebnisse der Begleitforschung zum Condrobs-Projekt Streetwork im Netz präsentierte Prof. Dr. Robert Lehmann, Leiter des Instituts für E-Beratung an der TH Nürnberg, zusammen mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Mara Stieler. Gleich zu Beginn machte er deutlich: „Was Condrobs macht, funktioniert.“

In der Begleitforschung wurden verschiedene qualitative und quantitative Methoden eingesetzt, um Potenziale für die aktive Ansprache im digitalen Raum zu erforschen. Dabei konnten Lehmann und sein Team zentrale Wirkfaktoren im Bereich der digitalen Streetwork identifizieren. Dazu gehört

die Bedeutung der Netzidentität des Streetwork-Teams, um transparent zu sein und Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu schaffen. Weiterhin wurde die Rolle von Gatekeepern, die Zugang zu Foren und Plattformen schaffen und fördern können, erläutert. Dargestellt wurde zudem, wie wichtig angesichts der Schnelllebigkeit des Internets ein kontinuierliches Monitoring ist, um als Streetwork-Team immer auf dem neuesten Stand zu sein und zu wissen, wo und wie ein Zugehen auf die Zielgruppe sinnvoll ist.

Ein sehr zentrales Ergebnis der Begleitforschung ist, dass Streetwork im Netz junge Menschen erreicht, die bislang von den bestehenden Versorgungsstrukturen nicht erreicht wurden oder die sich vom Hilfesystem abgewandt haben. Hier baut Streetwork im Netz Brücken, um frühzeitige Hilfen zu ermöglichen. Die Ergebnisse der Studie zeigen eine hohe Zufriedenheit mit der Art der Ansprache und Beratung durch die Condrobs-Streetworker:innen. Die Empfehlung aus der Begleitstudie ist daher, Angebote mit den als wichtig und wirksam ermittelten Standards strukturiert und langfristig zu fördern.

Ein gelungener Austausch

Nach einer Pause wurden weitere Projekte vorgestellt, die aufsuchend im Netz arbeiten. Behandelt wurden dabei Themen wie Hate Speech, radikale und extremistische Narrative auf Social-Media-Plattformen sowie aufsuchende Beratungsarbeit in den sozialen Medien für zugewanderte Frauen.

In der Plenumsdiskussion wurden offene Fragen, künftige Handlungsempfehlungen und noch zu bewältigende Herausforderungen diskutiert. Alle Projekte, die beim Fachtag vorgestellt wurden, haben gemein, dass sie Neuland betreten haben und mit befristeten Fördergeldern ausgestattet sind. Die Wirksamkeit und Innovation der Projekte ist gegeben und wird allgemein anerkannt und geschätzt, dennoch fehlen längerfristige und breit gedachte Perspektiven für Verstetigungen sowie Ressourcen für Weiterentwicklungen und Ausbau. Hier sind Politik und Verwaltung gefragt, Lösungen zu finden. Soziale Arbeit muss zwingend ergänzend zu bestehenden analogen Versorgungsstrukturen breit aufgestellt in den digitalen Räumen aufsuchend Bedarfe identifizieren und Hilfeangebote machen.

Über Condrobs
Condrobs e. V. ist ein überkonfessioneller Träger mit vielfältigen sozialen Hilfsangeboten in ganz Bayern. Das Angebot umfasst innovative Projekte und Einrichtungen der Prävention, Sucht- und Wohnungslosenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe sowie Migrationsarbeit. Weitere Informationen unter www.condrobs.de

Pressestelle von Condrobs e. V., 22.03.2023