„Germanwings“-Absturz 2015

Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine (Flug 9525) in den französischen Alpen im vergangenen Jahr ist es zu einer stigmatisierenden Berichterstattung über psychisch erkrankte Menschen gekommen. Dies zeigt eine aktuelle Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) mahnt deshalb zu besonderer Umsicht bei der medialen Aufarbeitung von schweren Gewalttaten.

Das Bild, das sich die Öffentlichkeit von Menschen mit psychischen Erkrankungen macht, wird maßgeblich durch ihre Darstellung in den Medien geprägt. Gerade nach schweren Gewalttaten kommt es dort immer wieder zu Stigmatisierungen. Besonders deutlich zeigt dies die Berichterstattung über den Absturz der Germanwings-Maschine im vergangenen Jahr, wie eine aktuelle Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim darlegt. Dazu wurden 251 Artikel ausgewertet, die sich im Zeitraum vom 24.03.2015 bis 30.06.2015 in zwölf überregionalen Printmedien mit dem Absturz beschäftigt haben. Die Ergebnisse sind deutlich: Das Forscherteam stuft 161 Artikel als riskant ein, 79 Artikel enthielten explizite Stigmatisierungen.

Die Berichterstattung drehte sich insbesondere um die Frage nach dem Grund des Absturzes. 64,1 Prozent der Artikel zogen eine psychische Erkrankung des Kopiloten als mehrheitliche Erklärung für den Absturz der Maschine heran. In 39,4 Prozent der Artikel wird sogar die konkrete Diagnose einer Depression genannt. „Dass nach solch unfassbaren Taten die Frage nach der Ursache in der Berichterstattung im Zentrum steht, ist verständlich – aber wir dürfen uns nicht Spekulationen hingeben. Ob und wenn ja welche psychische Erkrankung eine Rolle spielte, war zu diesem Zeitpunkt völlig unklar. Trotzdem wurde die psychische Vorerkrankung des Kopiloten kausal mit der Tat verknüpft“, stellt DGPPN-Präsidentin Dr. Iris Hauth fest.

Bei der Berichterstattung über den Zusammenhang von schweren Gewalttaten und psychischen Erkrankungen ist deshalb aus Sicht der DGPPN besondere Umsicht notwendig. „Zusätzliche Erklärungen sind unverzichtbar. Verantwortungsvolle Artikel machen ihren Lesern klar, dass von psychisch erkrankten Menschen nicht per se eine Gefahr ausgeht und sie für die überwiegende Mehrzahl von Gewalttaten nicht verantwortlich sind. Durch die mediale Fokussierung auf psychische Erkrankungen entsteht aber häufig ein anderes, falsches Bild – was der Stigmatisierung Vorschub leistet“, sagt Dr. Iris Hauth.

Die DGPPN appelliert deshalb an das Verantwortungsbewusstsein der Medienschaffenden. Die publizistischen Grundsätze in Bezug auf die Berichterstattung über Menschen mit psychischen Erkrankungen sind im Pressekodex klar geregelt. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl an Empfehlungen, die auf die besonderen Herausforderungen bei der Darstellung psychischer Erkrankungen und der von ihnen Betroffenen eingehen. Zudem unterstützen die Experten der DGPPN jederzeit bei der medizinischen Einordnung der Sachverhalte.

Fair Media ist eine Hilfestellung für Journalistinnen und Journalisten, die über Menschen mit psychischen Erkrankungen berichten: www.fairmedia.seelischegesundheit.net

Literatur:
• von Heydendorff S, Dreßing H (2016) Mediale Stigmatisierung psychisch Kranker im Zuge der „Germanwings“-Katastrophe. DOI: 10.1055/s-0042-101009. Die Publikation ist ab sofort online verfügbar.
• Maier W, Hauth I, Berger M, Saß H (2016) Zwischenmenschliche Gewalt im Kontext affektiver und psychotischer Störungen. Nervenarzt 87:53–68.

Pressestelle der DGPPN, 02.03.2016