Gemeinsame Position der Suchtfachverbände

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat am 22./23. Dezember 2020 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (Teilhabestärkungsgesetz) an Verbände und Organisationen versandt, um diesen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Suchtfachverbände haben folgende Stellungnahme abgegeben:

Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (Teilhabestärkungsgesetz)

Gemeinsame Position der Suchtfachverbände

fdr+, Fachverband Drogen und Suchthilfe e.V.
FVS, Fachverband Sucht e.V.
buss, Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V.
CaSu-Caritas Suchthilfe, Bundesarbeitsgemeinschaft der Suchthilfeeinrichtungen im Deutschen Caritasverband
GVS, Gesamtverband für Suchthilfe e.V. – Fachverband der Diakonie Deutschland

SGB IX § 99 Abs. 4 und 5 Leistungsberechtigung in der Eingliederungshilfe

Die Suchtfachverbände begrüßen die Anpassung der Kriterien für die Leistungsberechtigung der Eingliederungshilfe durch Orientierung an den Begrifflichkeiten und der Intention der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) sehr, da diese eine negative Veränderung der Möglichkeiten der Teilhabe des leistungsberechtigten Personenkreises ausschließt und nunmehr auch die Teilhabechancen für abhängigkeitskranke bzw. -gefährdete Menschen (die Begriffe Abhängigkeitskranke und Suchtkranke werden im Text synonym verwendet) verbessert. Der Personenkreis der abhängigkeits- kranken und -gefährdeten Menschen sollte ebenfalls in einer Rechtsverordnung zur Konkretisierung der Leistungsberechtigung in der Eingliederungshilfe Berücksichtigung finden und analog der bestehenden Eingliederungshilfeverordnung explizit benannt werden.

SGB IX § 6 Abs. 3 und § 19 – Rehabilitationsträger und Teilhabeplan

Der Referentenentwurf soll maßgeblich auf die Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen abzielen. U.a. auch in dem unter § 6 Abs. 3 eingefügten Satz „Die Bundesagentur für Arbeit stellt den Rehabilitationsbedarf fest. Sie beteiligt das zuständige Jobcenter nach § 19 Absatz 1 Satz 2 und erstellt einen Eingliederungsvorschlag. Das Jobcenter entscheidet unter Berücksichtigung des Eingliederungsvorschlages über die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.“ fehlt den Suchtfachverbänden der partizipative/beteiligende Ansatz der Betroffenen. Änderungsvorschlag:

„Die Bundesagentur für Arbeit stellt den Rehabilitationsbedarf fest. Sie beteiligt das zuständige Jobcenter nach § 19 Absatz 1 Satz 2 und erstellt gemeinsam mit dem leistungsberechtigten Menschen einen Eingliederungsvorschlag. Das Jobcenter entscheidet unter Berücksichtigung des Eingliederungsvorschlages sowie des Wunsch- und Wahlrechts über die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.“

Grundsätzlich möchten wir die Bedeutung einer partizipativen Perspektive/Formulierung hinsichtlich der Einbeziehung der Leistungsberechtigten in Entscheidungsprozesse betonen und um entsprechende Korrekturen im gesamten Referentenentwurf bitten.

SGB II und SGB III – Verbesserung der Betreuung von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden

Bislang erfolgte die Erbringung der kommunalen Eingliederungsleistungen wie Schuldner- und Suchtberatung, in den entsprechenden Beratungsstellen und teilweise bzw. regional unterschiedlich, direkt in den Jobcentern oder in Kooperation der Jobcenter mit den Suchtberatungsstellen. Die Suchtfachverbände begrüßen die Bestrebungen, Leistungen nach §§ 16 a ff SGB II verbindlich neben einem Rehabilitationsverfahren in den Jobcentern anzubieten. Zur Erbringung von sozialintegrativen Leistungen und zur Teilhabe am Arbeitsmarkt sollten die zuständigen Träger der Leistungen jedoch keine eigenen Einrichtungen und Dienste neu schaffen, sondern geeignete, etablierte und qualifizierte Einrichtungen und Dienste der Träger der freien Wohlfahrtspflege nutzen und unterstützen. Diese langjährige und kommunal effektive Kooperation sollte nicht gefährdet bzw. verändert werden.

Gerade für suchterkrankte Menschen ist die Parallelorganisation von Maßnahmen zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben (Teilhabe am Arbeitsmarkt) sowie von sozialintegrativen Leistungen während einer stationären Suchtrehabilitationsmaßnahme von besonderer Bedeutung. Die bisherigen Katamnesen haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Abstinenz (nach einem Jahr) überaus deutlich mit der Tatsache, ob eine Beschäftigung aufgenommen werden konnte, korreliert. Die Möglichkeit, Leistungen nach den §§ 16 a ff. SGB II neben einem Rehabilitationsverfahren zu erbringen, ist sinnvoll, muss jedoch auch tatsächlich nahtlos erfolgen und für den von einer Abhängigkeitserkrankung Betroffenen nicht nur grundsätzlich möglich, sondern vor dem Hintergrund seiner aktuellen Lebens- und Gesundheitssituation faktisch realisierbar sein. Die Koordination der Leistungen ist explizit zu beschreiben.

Ein digitaler Zugangsweg zu den Beratungsleistungen während einer Rehabilitationsmaßnahme ist nicht nur während der außergewöhnlichen Zeiten der Pandemie erforderlich, sondern sollte auch darüber hinaus gewährleistet sein. Eine Aufnahme in das Teilhabestärkungsgesetz im Sinne von: „digitale Zugangswege zur Beratung auf der Ebene der Jobcenter sind zu implementieren“ wäre mehr als hilfreich.

SGB IX § 47a – digitale Gesundheitsanwendungen

Die Änderungen beziehungsweise Ergänzungen im SGB IX § 47 a zum Thema Digitale Gesundheitsanwendungen sehen eine Integration von neuen (digitalen) Angeboten vor, was sehr zu begrüßen ist. Dabei beschreibt § 47 a Abs. 1 Satz 2 den Vorbehalt der Anerkennung unter der Berücksichtigung, dass der Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern ist. Diesen Vorbehalt erfüllen u.a. digitale Nachsorgeangebote nach einer stationären und ambulanten Suchtrehabilitationsmaßnahme.

Die Einschränkung jedoch, dass die digitalen Gesundheitsanwendungen nach §§ 42 Abs. 2 Nummer 6a nur diejenigen sind, die in das Verzeichnis nach § 139 Abs. 1 SGB V aufgenommen wurden und primär ärztliche Leistungen beschreiben, engt die Einsatzmöglichkeiten für die Behandlung von suchtmittelabhängigen Patientinnen und Patienten stark ein. Grundsätzlich sollte der Fokus auf die Erfüllungskriterien hinsichtlich der Erreichung der Ziele über den rein medizinischen Bereich hinaus gesehen werden. Hier wären z. B. auch die psychosoziale Komponente sowie die Stabilisierung bzw. Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit mit einzubeziehen, ganz im Sinne einer bio-psycho-sozialen Betrachtungsweise bzw. einer ICF-Orientierung.

Abhängigkeitskranke Menschen sind eine leistungsberechtigte Personengruppe, weshalb digitale Gesundheitsanwendungen, z. B. in Form von Apps, auch für diese erbracht werden müssen, u. a. um den Zugang zu Hilfeleistungen zu erleichtern, den Behandlungserfolg nachhaltig zu sichern, ihre Teilhabechancen zu erhöhen sowie die Versorgung der Leistungsberechtigten um eine weitere (digitale) Komponente zu ergänzen. Eine Ausweitung der in diesem Zusammenhang anerkannten Berufsgruppen um Psycholog*innen und Suchttherapeut*innen ist daher dringend erforderlich.

SGB IX – Budgets für Ausbildung

Die Suchtfachverbände begrüßen es, den anspruchsberechtigten Personenkreis für das Budget für Ausbildung (§ 61a SGB IX) sachgerecht zu erweitern. Demnach können nun Menschen mit Behinderungen, die sich schon im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen oder eines anderen Leistungsanbieters befinden, das Budget für Ausbildung in Anspruch nehmen. Zu diesem Personenkreis zählen auch abhängigkeitserkrankte Menschen.

Berlin, 06.01.2021

Friederike Neugebauer, Geschäftsführerin, fdr+ e.V.
Dr. Thomas Klein, Geschäftsführer, FVS e.V.
Corinna Mäder-Linke, Geschäftsführerin, buss e.V.
Stefan Bürkle, Leiter Geschäftsstelle, BAG CaSu im DCV
Ralf Klinghammer, stellvertretender Vorsitzender GVS e.V.

Download der Stellungnahme als PDF