DRUCK-Studie – Drogen und chronische Infektionskrankheiten in Deutschland

Cover_AbschlussberichtIm Juni 2016 veröffentlichte das Robert Koch-Institut (RKI) den Abschlussbericht der DRUCK-Studie (Drogen und chronische Infektionskrankheiten in Deutschland). Er steht auf der Homepage des RKI zum Download zur Verfügung. Im Folgenden wird die dem Bericht entnommene „Zusammenfassung“ (S. 9–14) wiedergegeben. Neben den Studienergebnissen enthält sie Empfehlungen für Drogenhilfe und Ärzteschaft im Hinblick auf Prävention und Kontrolle von sexuell und durch Blut übertragenen Infektionen.

Hintergrund

Bei intravenös (i.v.) konsumierenden Drogengebrauchenden (IVD) sind Infektionen mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV), Hepatitis C (HCV) und Hepatitis B (HBV) deutlich stärker als in der Allgemeinbevölkerung verbreitet. Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut empfiehlt eine HBV-Immunisierung für IVD als Indikationsimpfung. Um Seroprävalenzdaten für HIV, HBV und HCV sowie damit gekoppelte Daten zu Wissen, Risiko- und Präventionsverhalten von IVD in Bezug auf die Infektionen zu erfassen, wurde 2011 vom RKI die DRUCK-Studie (Drogen und chronische Infektionskrankheiten in Deutschland), ein multizentrischer Sero- und Verhaltenssurvey unter IVD, initiiert. Die Ergebnisse sollen in gezielte Präventionsempfehlungen zum Schutz vor HIV und Hepatitiden bei IVD einfließen. In anderen europäischen Ländern hat sich eine erhöhte Prävalenz des Humanen T-Lymphotropen Virus (HTLV) unter IVD gezeigt. Da Daten zur Epidemiologie diesbezüglich für Deutschland fehlen, sollte zusätzlich die HTLV-Prävalenz unter IVD ermittelt werden.

Methoden

Intravenös konsumierende Drogengebrauchende, die innerhalb der letzten zwölf Monate in der jeweiligen Studienstadt Drogen gespritzt hatten und mindestens 16 Jahre alt waren, wurden von 2011 bis 2014 durch ein modifiziertes Schneeballverfahren (Respondent driven sampling) rekrutiert und in niedrigschwelligen Einrichtungen der Drogenhilfe in Berlin, Essen, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig und München untersucht. Neben einem ausführlichen fragebogengestützten Interview wurden Kapillarblutproben auf Filterpapier getropft und anonym auf Labormarker für HBV, HCV, HIV und HTLV untersucht. Den Teilnehmenden wurde darüber hinaus ein anonymer HIV-Schnelltest mit Beratung und Ergebnismitteilung direkt vor Ort angeboten. Zusätzlich wurde eine gezielte Kurzberatung zu Wissenslücken, die sich im Interview herausstellten, angeboten sowie die Möglichkeit, die Ergebnisse der Labortestungen auf HCV und HIV in einem ärztlichen Beratungsgespräch im Nachgang zu erfahren.

Ergebnisse

Es wurden insgesamt 2.077 intravenös konsumierende Drogengebrauchende in die Studie eingeschlossen, je nach Studienstadt zwischen 130 und 337. Sowohl in der Prävalenz von Hepatitis B, Hepatitis C und HIV als auch in der Häufigkeit soziodemographischer Faktoren und Verhaltensfaktoren bestanden teils deutliche Unterschiede zwischen den Studienstädten. Es wurden in keiner der Proben Hinweise für eine HTLV-Infektion gefunden. In der Gesamtstudienpopulation waren 23 Prozent Frauen und 77 Prozent Männer, zwischen den Studienstädten bewegte sich der Frauenanteil zwischen 18 und 35 Prozent. Das mediane Alter der Teilnehmenden betrug insgesamt 38 Jahre (29–41 Jahre in den Studienstädten) mit einer Altersspanne der Gesamtpopulation von 17–65 Jahren. Von allen Teilnehmenden waren 78 Prozent in Deutschland geboren. Insgesamt hatten 37 Prozent (18–45 Prozent) einen Migrationshintergrund (erste und zweite Generation), wobei die größte Gruppe der Erstgenerationsmigrant/innen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion stammte (zehn Prozent der Gesamtstudienpopulation).

Insgesamt wurden IVD mit größtenteils seit über zehn Jahren bestehendem injizierendem Drogenkonsum erreicht. Die meisten (80 Prozent) hatten in den letzten 30 Tagen Drogen injiziert, von diesen ein Drittel täglich. Ein Großteil hatte suchttherapeutische Erfahrung, zwischen 57 und 89 Prozent je nach Stadt waren jemals in Opioidsubstitutionstherapie (OST), 31–66 Prozent waren aktuell in OST. Zu den am häufigsten aktuell konsumierten Substanzen der Gesamtpopulation gehörten Heroin (74 Prozent), Benzodiazepine (50 Prozent), Kokain (49 Prozent), nicht ärztlich verschriebenes Methadon (38 Prozent) und Crack (25 Prozent), wobei Letzteres fast ausschließlich in Frankfurt, Hamburg und Hannover konsumiert wurde. In Leipzig wurde ein hoher Anteil von Methamphetamin-Konsum beschrieben (67 Prozent in Leipzig, sechs Prozent der Gesamtstudienpopulation), in München ein hoher Pregabalin-Konsum (57 Prozent in München, 23 Prozent der Gesamtstudienpopulation). Am häufigsten wurden aktuell Opioide (meist Heroin) als Monosubstanz injiziert, mit teils erheblichen regionalen Unterschieden, gefolgt von Kokain. Polykonsum meist von Heroin und Kokain als Cocktail als häufigste injizierte Substanzen wurde von zehn  Prozent der Teilnehmenden mit injizierendem Konsum in den letzten 30 Tagen angegeben.

In der Gesamtstudienpopulation wiesen 70 Prozent der Proben serologische Marker mindestens einer der drei untersuchten Infektionen auf. Die Seroprävalenz von HIV bewegte sich zwischen null und neun Prozent, von HCV zwischen 42 und 75 Prozent, wobei eine aktive Infektion mit nachweisbarer Virus-RNA in 23 bis 54 Prozent vorlag. Die HBV-Prävalenz betrug zwischen fünf und 33 Prozent. Davon lagen chronische HBV-Infektionen in 0,3 bis 2,5  Prozent der Städtepopulationen vor. Ko-Infektionen von zwei oder drei Infektionen lagen bei einem Drittel der Infizierten vor, entsprechend 24 Prozent der Gesamtstudienpopulation. Die Anti HBs-Seroprävalenz als Marker einer Impfung lag zwischen 15 und 52  Prozent. Zwischen 16 und 69 Prozent wiesen keine HBV-Marker auf und waren vor einer Infektion nicht geschützt. Den stärksten Effekt auf den Impfstatus hatte das lokale Setting in der Studienstadt. Von den HIV-Infizierten kannten 80 Prozent bereits ihre Diagnose, und 55 Prozent waren aktuell in antiretroviraler Therapie. Von den HCV-Infizierten mit Behandlungsindikation hatten 85 Prozent mindestens schon einmal einen positiven HCV-Antikörpertest gehabt, und 19 Prozent waren nach eigener Auskunft erfolgreich mit interferonbasierter Therapie behandelt worden.

Von allen Teilnehmenden mit injizierendem Konsum in den letzten 30 Tagen berichteten neun Prozent, von anderen gebrauchte Spritzen und Nadeln benutzt zu haben, zehn Prozent hatten selbst benutzte Spritzen/Nadeln an andere weitergegeben, 19 Prozent hatten gebrauchte Filter/Löffel benutzt, und 21 Prozent selbst benutzte Filter/Löffel weitergegeben. Wassergefäße hatten in den letzten 30 Tagen 22 Prozent geteilt. Das Teilen von Spritzen und Nadeln war assoziiert mit einer ungenügenden Versorgung mit sterilen Nadeln und Spritzen je Konsumvorgang, wohingegen das Teilen von Löffeln, Filter und Wasser insbesondere beeinflusst wurde durch ein ungenügendes Wissen über die Möglichkeit einer HCV-Übertragung durch dieses Verhalten. Personen mit besserem Wissen praktizierten das Verhalten seltener. Insgesamt waren zwischen 46 und 52 Prozent der Teilnehmenden nicht ausreichend mit sterilen Nadeln und Spritzen für die in den letzten 30 Tagen berechneten injizierenden Konsumvorgänge versorgt. Ein Fünftel der Teilnehmenden wusste nicht, dass durch das Teilen von Filtern, Löffeln und Wasser HCV übertragen werden kann, fast die Hälfte kannte nicht das Risiko des Teilens von Sniefröhrchen. Erhebliche Wissenslücken zeigten sich bei der HBV-Impfung, noch größere bei der HIV-Postexpositionsprophylaxe. Sexuelle Aktivität im letzten Jahr wurde von 83 Prozent der Frauen und 73 Prozent der Männer angegeben. Sexuelle Risiken in Form von wechselnden Sexpartner/innen (mindestens zwei in den letzten zwölf Monaten) gingen 30 Prozent der Frauen und 41 Prozent der Männer ein, sexuelle Kontakte zwischen Männern berichteten drei Prozent der Männer, und 32 Prozent der Frauen und 14 Prozent der Männer berichteten Sex im Tausch gegen Geld oder Drogen.

Hafterfahrung wurde von 81 Prozent berichtet mit einer mittleren Gesamthaftdauer von drei Jahren und sechs Monaten. 30 Prozent der jemals Inhaftierten gaben i.v.-Drogenkonsum in Haft an. Inhaftierung stellte sich als unabhängiger Risikofaktor für eine HCV-Infektion heraus, wobei die Stärke des Einflusses mit der Dauer der Gesamthaftzeit sowie mit der Anzahl der Inhaftierungen zunahm.

Zwischen einem und 46 Prozent der Teilnehmenden je Studienstadt wünschten die Durchführung eines anonymen HIV-Schnelltestes, und 30 bis 80  Prozent nahmen eine kostenlose und freiwillige Kurzberatung zum HIV-Schnelltest und/oder zur Schließung von Wissenslücken wahr. […]

Die Ergebnisse der DRUCK-Studie haben damit eine Vielzahl von konkreten Handlungsbedarfen zur Prävention und Kontrolle von sexuell und durch Blut übertragenen Infektionen bei i.v.-konsumierenden Drogengebrauchenden aufgezeigt, aus denen die folgenden aufgelisteten Empfehlungen abzuleiten sind.

Empfehlungen

Für die niedrigschwellige Drogenhilfe:

  • Die bedarfsorientierte Ausgabe von Konsumutensilien (wie Spritzen, Nadeln, Filter, Löffel, Wasser zur Injektion) sollte flächendeckend implementiert werden.
  • Es sollten gezielte Kurzberatungen insbesondere bei Wissenslücken zu Transmissionswegen, insbesondere zu HCV, zur HBV-Impfung und HIV-Behandlung und PEP (Postexpositionsprophylaxe) implementiert werden.
  • HIV-Testangebote (z. B. HIV-Schnelltestung) und die Testung auf HCV (Antikörpertest und PCR) sollten als regelmäßiges Angebot implementiert werden.
  • Die Testung zu Infektionskrankheiten sollte von qualifizierter Beratung zur Bedeutung des Testergebnisses begleitet werden.
  • Es sollte ein regelmäßiges Schulungsangebot zur Qualifizierung von (nicht-medizinischem) Personal in niedrigschwelligen Drogenhilfen als (Test-)Beratende implementiert werden.
  • Es sollten nach Möglichkeit HBV-Impfkampagnen oder regelmäßige Impfangebote auch niedrigschwellig implementiert werden, verbunden mit einer Beratung zur Impfung.
  • Es sollten je nach lokalen Gegebenheiten Präventionsangebote speziell für Frauen und ggf. für junge und neue IVD implementiert bzw. ausgebaut werden.

Für Substitutionseinrichtungen und Einrichtungen der Suchthilfe:

  • Der regelmäßige Kontakt mit IVD sollte besser zur HBV-Impfung genutzt werden, begleitet von einer Beratung zur Sinnhaftigkeit der Impfung.
  • Nach der letzten Boosterimpfung sollte entsprechend der STIKO-Empfehlungen der Impftiter gemessen und dokumentiert werden.
  • Personen, die fortgesetzt Infektionsrisiken ausgesetzt sind und einer Testung bedürfen, sollten regelmäßig auf HIV (Antikörpertest) und HCV (Antikörpertest und PCR) getestet werden. Das schließt eine Beratung zur Bedeutung des Testergebnisses ein.
  • Alle HIV- und HCV-Positiven sollten zur Prüfung einer Therapieindikation und Behandlung zu infektiologisch oder hepatologisch tätigen Ärzten und HIV-Schwerpunkteinrichtungen überwiesen werden.
  • Substituierte sollten gezielt zur HBV-Impfung, zur HIV-PEP und zur Möglichkeit einer HCV-Übertragung durch das Teilen von Filtern, Löffeln, Wassergefäßen und Sniefröhrchen informiert werden.
  • Das Suchtmedizinsystem sollte sich auf lokaler Ebene stärker mit niedrigschwelligem Setting und Infektiologie/HIV-Schwerpunkteinrichtungen/Hepatologie vernetzen.

Für Justizvollzugsanstalten und Einrichtungen des Jugend- und Maßregelvollzugs:

  • Es sollte in diesen Einrichtungen flächendeckend ein HBV-Impfangebot, begleitet von einer Beratung zur Bedeutung der Impfung, implementiert werden.
  • Vertrauliche und freiwillige Testung auf HCV sollte ebenso wie die Testung auf HIV allen Inhaftierten angeboten werden, begleitet von einem Beratungsgespräch zur Erläuterung des Testergebnisses und Möglichkeiten der Behandlung.
  • Inhaftierte mit einer HIV- oder HCV-Infektion sollten der Behandlung zugeführt werden.
  • Inhaftierten IVD sollte der Zugang zu evidenzbasierten Maßnahmen der Prävention von HBV, HCV und HIV gewährt werden. Dazu sollte der Zugang zu einer ausreichend dosierten Opioidsubstitutionstherapie, zu Kondomen und Konsumutensilien verbessert werden.
  • Das Übergangsmanagement sollte hinsichtlich der Prävention von Unsafe use verbessert werden.

Für die Ärzteschaft:

  • Die Ärzteschaft insgesamt (Allgemeinärzte, Gynäkologen, Internisten, Infektiologen) und die Suchtärzteschaft im Besonderen sollte darüber informiert werden, dass Ärzte für IVD die wichtigste Informationsquelle zu HBV, HCV und HIV darstellen.
  • Die Ärzteschaft sollte über das Ausmaß und Art der Wissenslücken von IVD zu HBV, HCV und HIV informiert werden.
  • Die Ärzteschaft sollte die HBV-Indikationsimpfung bei den von der STIKO empfohlenen Gruppen (Drogengebrauchende, Inhaftierte, HIV-Infizierte, HCV-Infizierte) besser umsetzen. Nach der letzten Boosterimpfung sollte entsprechend der STIKO-Empfehlungen der Impftiter gemessen und dokumentiert werden.
  • Alle Ärzte incl. Suchtärzte, Ärzte in Rettungsstellen und im Krankenhaus, Allgemeinärzte und Hausärzte, die Testungen auf Infektionskrankheiten bei IVD durchführen, sollen dies mit einer ausführlichen Erläuterung des Testergebnisses verknüpfen.
  • Die Ärzteschaft sollte über den Verbesserungsbedarf der HCV- und HIV-Therapieraten von IVD informiert werden. Die Indikationsstellung und Durchführung der Therapie beider Infektionen sollen leitliniengerecht erfolgen.

Für alle auf lokaler Ebene:

  • Insbesondere Frauen, junge Drogengebrauchende unter 25 Jahren und Personen, die erst kürzlich ihren injizierenden Konsum begonnen haben, sollten auf lokaler Ebene gezielt für Maßnahmen der Prävention erreicht werden.
  • Insgesamt ist zu empfehlen, dass sich vorhandene Strukturen auf lokaler Ebene (u. a. Drogenhilfe, Suchthilfe, Substitutionseinrichtungen, Infektiologie/Hepatologie) besser vernetzen und zusammenarbeiten.

Bibliographische Angaben:
Robert Koch-Institut. Abschlussbericht der Studie „Drogen und chronischen Infektionskrankheiten in Deutschland“ (DRUCK-Studie), Berlin 2016.
DOI: 10.17886/rkipubl-2016-007