Dringender Appell zur Aufrechterhaltung der ambulanten und stationären Suchtkrankenversorgung

Angesichts der zunehmend bedrohlichen Situation durch die aktuelle Ausbreitung der SARS-CoV-2-Pandemie sind alle Beteiligten – insbesondere auch aus dem Gesundheitssystem – gefordert, zusammenzustehen und die Krise gemeinsam zu bewältigen. Die Eindämmung der Pandemie, der Schutz von Risikogruppen und die Zurverfügungstellung von intensivmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten für die Versorgung schwerst an Covid 19 Erkrankter haben dabei höchste Priorität.

Wir weisen angesichts der von der Bundesregierung und den Bundesländern am 28.10.2020 beschlossenen Einschränkungen allerdings darauf hin, dass die Behandlung und Versorgung aller anderen Erkrankten, soweit es geht, weiterhin durchführbar sein muss. Dies gilt im Besonderen auch für psychisch Kranke und suchtkranke Menschen.

Denn suchtkranke Menschen, die zumeist an weiteren, teils schweren psychischen und somatischen Erkrankungen leiden, sind dabei in der aktuellen Notsituation besonderen Risiken ausgesetzt. Sie sind auf ein funktionierendes Suchtkrankenversorgungsnetz angewiesen.

Aufnahmemöglichkeiten, insbesondere Notaufnahmen zur Entzugsbehandlung, qualifizierte Entzugsbehandlung, die Basisversorgung in den ambulanten Suchtberatungsstellen und den psychiatrischen Institutsambulanzen, Angebote des betreuten Wohnens sowie niedrigschwellige Hilfen, die (ganztägig) ambulante und stationäre medizinische Rehabilitation bei Abhängigkeitserkrankungen/ Entwöhnungsbehandlungen sowie die ambulante und stationäre Substitutionsbehandlung einschließlich der damit verbundenen psychosozialen Betreuung müssen auch angesichts der sich aktuell verschärfenden Pandemiekrise und der nun beschlossenen Einschränkungen weiterhin zur Suchtkrankenversorgung und -behandlung zur Verfügung stehen. Dies betrifft in gleichem Maße die Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen der Suchthilfe sowie die Angebote der Suchtselbsthilfe.

Eine nun wieder drohende Angebotsreduktion der ambulanten Suchtberatungsstellen oder eingeschränkte Entgiftungs- und Entzugsmöglichkeiten sowie eine damit verbundene Beschränkung der Inanspruchnahme der Entwöhnungsbehandlung würde den Druck auf suchtkranke Menschen deutlich erhöhen, da in diesem Falle die notwendige Versorgung nicht mehr sichergestellt werden könnte.

Die Entwöhnungsbehandlung findet in Deutschland überwiegend im Rahmen der medizinischen Rehabilitation in dazu spezialisierten Abteilungen oder Rehabilitationskliniken statt. Sie stellt die eigentliche Behandlung der Grunderkrankung dar und ist unverzichtbar. Hierzu gehört auch die Mitbehandlung oft schwerer psychischer und somatischer Begleit- und Folgeerkrankungen. Ein nicht unerheblicher Anteil der Suchtkranken auch in Rehabilitationskliniken ist wohnungslos, sozial entwurzelt oder lebt in prekären Wohnverhältnissen.

Die Einschränkung des Zugangs zu ambulanten und stationären Versorgungs- und Behandlungsangeboten für suchtkranke Menschen ist aus unserer fachlichen Sicht nicht dazu geeignet, zur Eindämmung der Pandemie beizutragen.

Hingegen entlastet die originäre Arbeit mit den schwer Suchtkranken die Gesellschaft und akutmedizinische Einrichtungen. Viele der in unseren Einrichtungen behandelten Patientinnen und Patienten haben krankheitsbedingt unbehandelt erhebliche Schwierigkeiten, sich zu Hause selbst zu versorgen. Bei vorzeitiger Entlassung oder fehlender Aufnahmemöglichkeit drohen Rückfall und hohe Eigengefährdung, verbunden mit der verminderten Fähigkeit, Grenzen und Regeln einzuhalten, auch Fremdgefährdungen sind nicht auszuschließen. Bei einem Zusammenbruch oder einer deutlich eingeschränkten Funktionsfähigkeit des miteinander vernetzten Systems der Suchtkrankenversorgung droht somit eine zusätzliche Belastung des akutmedizinischen somatischen und psychiatrischen Versorgungssystems. Ein Abbau der Suchtkrankenversorgung wäre somit nicht geeignet, die Pandemie einzudämmen, vielmehr würde dieser zu weiteren Risiken führen und birgt die Gefahr, den gesundheitlichen Schaden für die Betroffenen, ihre Angehörigen und die Gesellschaft zu erhöhen.

Wir appellieren dringend an die politisch Verantwortlichen, in ihren weiteren Überlegungen differenziert vorzugehen und eine ausreichende Versorgung aller Suchtkranker weiterhin sicherzustellen.

Dieser Appell wird unterstützt von Daniela Ludwig MdB, Drogenbeauftragte der Bundesregierung.

  • Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss) e.V., Gero Skowronek, Geschäftsführer, Wilhelmshöher Allee 273, 34131 Kassel
  • Caritas Suchthilfe e.V. (CaSu), Stefan Bürkle, Geschäftsführer, Bundesverband der Suchthilfeeinrichtungen im DCV, Karlstraße 40, 79104 Freiburg
  • Dachverband der Suchtfachgesellschaften (DSG), Professor Dr. med. Markus Backmund, Präsident, Tal 9, Rgb, 80331 München
  • Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG‐Sucht) e.V., Prof. Dr. med. Rainer Thomasius, Präsident, Martinistraße 52 Gebäude W29 (Erikahaus), 20246 Hamburg
  • Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) e.V., Professor Dr. med. Markus Backmund, 1. Vorsitzender, Tal 9, Rgb, 80331 München
  • Deutsche Gesellschaft für Suchtpsychologie (DG SPS) e.V., Dr. phil. Gallus Bischof, Präsident, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
  • Deutsche Suchtmedizinische Gesellschaft (DSMG) e.V., Dr. med. Dieter Geyer, Präsident, Zu den drei Buchen 1, 57392 Schmallenberg
  • Deutscher Bundesverband der Chefärztinnen und Chefärzte der Fachkliniken für Suchtkranke DBCS e.V., Dr. med. Welf Schroeder, Präsident, Mühlental 5, 7629 Wied
  • Gesamtverband für Suchthilfe e.V. – Fachverband der Diakonie Deutschland, Corinna Mäder-Linke, Geschäftsführerin, Invalidenstraße 29, 10115 Berlin-Mitte
  • Fachverband Drogen- und Suchthilfe e.V., Friederike Neugebauer, Geschäftsführerin, Gierkezeile 39, 10585 Berlin
  • Fachverband Sucht e.V., Dr. phil. Volker Weissinger, Geschäftsführer, Walramstraße 3, 53175 Bonn

Download der Presseerklärung als PDF

Gemeinsame Presseerklärung von Fachgesellschaften und Verbänden der Suchthilfe und -behandlung, 30.10.2020