Digitalisierung im Dienste der Gesundheit

Leben und Gesundheit der Menschen in Deutschland könnten besser geschützt werden, wenn endlich die Möglichkeiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen verantwortlich und wissenschaftlich sinnvoll genützt würden. Zu diesem Schluss kommt der siebenköpfige Sachverständigenrat Gesundheit (SVR) in seinem aktuellen Gutachten, das am 24. März Herrn Minister Spahn übergeben und anschließend in der Bundespressekonferenz vorgestellt wurde.

„Wir brauchen eine ehrliche Diskussion über bisherige Fehlentwicklungen. Die Politik hat in den letzten Jahren Schritte in die richtige Richtung getan. Ziel muss die Neuausrichtung der Gesundheitsversorgung sein: hin auf ein digitales, ein systematisch lernendes Gesundheitssystem“, betont der SVR-Vorsitzende, Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, und führt aus:

„Auch der Sachverständigenrat hält es für unabdingbar, dass Gesundheitsdaten nicht in falsche Hände fallen. Zugleich müssen sie in richtige Hände gelangen können. In Hände, die Leben und Gesundheit schützen wollen. Die Angehörigen der Heilberufe in Deutschland wollen dies. Ebenso die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die erforschen, was uns gesund erhält, was uns krank macht und wie man Krankheiten heilen kann. Kluges Misstrauen sollte zu geeigneten Schutzmaßnahmen führen – nicht Hilfe verhindern, denn Daten teilen heißt besser heilen.“

Prof. Gerlach: „Die Menschen in Deutschland produzieren jeden Tag Abermillionen Daten, darunter sehr viele, die ihre Gesundheit betreffen. Die meisten dieser Daten wandern in die Arme von Datenkraken außerhalb der EU und werden von diesen für kommerzielle Zwecke, Werbung und Angebote ausgewertet. Wenn es aber darum geht, Gesundheitsdaten hierzulande zum Zwecke besserer Gesundheitsversorgung zu sammeln – z. B. in einer elektronischen Patientenakte – und sie für gezieltere Forschung, Prävention, Diagnostik und Therapie verfügbar zu machen, dann werden Probleme aufgetürmt, die eine sinnvolle Datennutzung fast unmöglich machen. Das ist unverantwortlich. Länder wie Dänemark oder Estland, in denen auch die Datenschutzgrundverordnung gilt, nutzen die Chancen der Digitalisierung sehr viel besser.“

„Der Rat ist überzeugt, dass das Patientenwohl der Maßstab sein muss, an dem Digitalisierung im Gesundheitswesen ausgerichtet und gemessen werden muss. Damit meinen wir das Wohl aller aktuellen und zukünftigen Patientinnen und Patienten. Dazu brauchen wir für Forschung und Versorgung verwertbare Daten. Nicht nur die bislang schon zugänglichen Abrechnungsdaten z. B. über verschriebene Medikamente, sondern auch die zugehörigen Behandlungsdaten etwa über Allergien, Blut- oder Röntgenuntersuchungen.“

Der Gesundheitsökonom und stellvertretende SVR-Vorsitzende, Prof. Dr. rer. pol. Wolfgang Greiner, ergänzt: „In der Corona-Pandemie hat sich zudem gezeigt, wie wichtig es wäre, Gesundheitsdaten wie eine nachgewiesene Ansteckung mit Bewegungs- und Kontaktdaten verknüpfen zu können, um zu erkennen, welche Situationen wirklich risikoreich im Sinne von Infektionsketten sind. Mit diesem Wissen könnten Maßnahmen zur Eindämmung viel gezielter sein.“

„Die Corona-Krise zeigt, dass es beim Thema Datennutzung nicht nur um den effizienten Schutz von Leben und Gesundheit des Einzelnen und seiner Mitmenschen geht, sondern auch darum, das Wirtschaftsleben ebenso wie Bildung, Kultur und Freizeitaktivitäten nicht unnötig einzuschränken. Es geht um die materiellen und ideellen Grundlagen unserer Gesellschaft. Um beurteilen zu können, welche Einschränkungen wirklich nötig und angemessen sind, müssen Forschende Daten auswerten dürfen.“

Prof. Greiner unterstreicht: „Von der Lebenswirklichkeit längst überholte Konzepte wie Datensparsamkeit helfen nicht weiter. Der Sachverständigenrat knüpft hier an den Deutschen Ethikrat an, der in seiner Stellungnahme zu ‚Big Data und Gesundheit‘ fest- stellte, einem Datenmissbrauch könne ‚mit Handlungsformen und Schutzmechanismen des traditionellen Datenschutzrechts nur unzureichend begegnet‘ werden. Der Sachverständigenrat hält es für an der Zeit, mit geeigneten technischen Maßnahmen, mit empfindlichen Strafandrohungen und wirksamen Kontrollen die Datensicherheit zu stärken und zugleich Möglichkeiten zu schaffen, Daten für gezieltere Forschung und Versorgung zu nutzen.“

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen formuliert der Rat in seinem Gutachten konkrete Empfehlungen zur patientenwohldienlichen Ausgestaltung der elektronischen Patientenakte (ePA) ebenso wie zur treuhänderisch kontrollierten Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung. Das Gutachten erörtert ferner die Nutzung und Kostenerstattung von digitalen Gesundheitsanwendungen und die Steigerung digitaler Gesundheitskompetenz in den Heilberufen im Besonderen und bei den Bürgerinnen und Bürgern im Allgemeinen. Es skizziert die normativen, rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Digitalisierung und die strategischen Schritte, die auf ein dynamisch lernendes Gesundheitssystem hin zu tun sind. Das Gutachten beinhaltet auch eine achtseitige Executive Summary.

Das Gutachten wurde dem Bundestag und Bundesrat zugeleitet und wird am 17. Juni 2021 im Rahmen eines Symposiums mit der Fachöffentlichkeit diskutiert. Es ist unter www.svr-gesundheit.de abrufbar und wird demnächst im Buchhandel erscheinen. Weitere Informationen zum digitalen Symposium am 17. Juni sowie zu Programm und Anmeldemöglichkeit stehen ebenfalls bald auf der Webseite zur Verfügung.

Über der SVR

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ist ein unabhängiges Gremium wissenschaftlicher Politikberatung auf Grundlage von § 142 SGB V. Seine Gutachten erscheinen alle zwei Jahre. Seine Mitglieder in der Berufungsperiode 1.2.2019–31.1.2023 sind: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Prof. Dr. rer. pol. Wolfgang Greiner, Prof. Dr. rer. oec. Beate Jochimsen, Prof. Dr. med. Christof von Kalle, Prof. Dr. phil. Gabriele Meyer, Prof. Dr. rer. oec. Jonas Schreyögg und Prof. Dr. med. Petra A. Thürmann.

Pressemitteilung des SVR, 24.3.2021