Begleiterhebung des BfArM zu Cannabis

Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.: BfArM-Begleiterhebung zu Cannabis zeigt Lücken des Wissens über Wirksamkeit der Cannabisprodukte auf

Am 6. Juli 2022 veröffentlichte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Abschlussbericht einer Begleiterhebung zur Therapie mit Cannabisarzneimitteln. Zwischen April 2017 und März 2022 waren alle Ärztinnen und Ärzte, die Cannabisarzneimittel außerhalb ihrer Zulassung nach § 31 Absatz 6 SGB V („Cannabisgesetz“) gesetzlich Versicherten verschrieben hatten, zur Beantwortung weniger Fragen zu Indikation, Durchführung und Ergebnissen der Cannabistherapie verpflichtet. Sie sollte nach einem Jahr Behandlung bzw. bei einem vorzeitigen Abbruch erfolgen.

Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. stellt hierzu fest:

Das Bemühen um mehr Transparenz zum medizinischen Gebrauch von Cannabisprodukten ist zu begrüßen. Bemerkenswert ist, dass über drei Viertel aller Verordnungen mit der Indikation chronische Schmerzen erfolgt sind. Dies verdeutlicht den Bedarf an wirkungsvollen Therapieverfahren in diesem Bereich, unterstreicht andererseits die Notwendigkeit von methodisch belastbaren Studien bei dieser Indikation. Denn: Die Begleiterhebung ist kaum geeignet, Aussagen über eine Wirksamkeit der Cannabisprodukte zu treffen, wie auch deren Autoren anmerken.

Insgesamt wurden nur 21.000 Behandlungsfälle gemeldet, von denen 16.800 ausgewertet werden konnten – gleichzeitig wird geschätzt, dass bis zu 70.000 Patientinnen und Patienten mit Cannabisarzneimitteln behandelt wurden. Und besonders häufig (zu 52 %) haben Anästhesisten Daten erhoben – also auf Schmerzmedizin spezialisierte Ärztinnen und Ärzte. Aus Kassendaten ist jedoch bekannt, dass die Hauptverschreiber von Cannabis Hausärztinnen und Hausärzte sind, deren Behandlungen in der Erhebung also deutlich unterrepräsentiert sind. Durch diese Selektion besonders qualifizierter Ärzte, die auch dokumentieren, ist die Erhebung nicht repräsentativ.

Ferner fällt auf, dass die Nutzer von Cannabisblüten deutlich jünger und häufiger männlich waren als die Patientinnen und Patienten, die Dronabinol oder Cannabisextrakte erhielten. Sie litten häufiger unter neurologischen Erkrankungen und Spastik. Die Behandlung mit Blüten erfolgte in einer sehr viel höheren Dosierung als bei den anderen Substanzen. Die Verordner bescheinigten der Blütentherapie zwar eine gute Effektivität, aber auch dreimal häufiger eine euphorisierende Wirkung. Diese Daten deuten auf eine mögliche positive Wirkung einer Cannabisblütentherapie bei speziellen Erkrankungen hin, es ist aber auch nicht auszuschließen, dass nichtmedizinische Vorerfahrungen einiger Patientinnen und Patienten mit dieser Cannabisform die Verordnung beeinflusst haben könnte. Die Deutsche Schmerzgesellschaft fordert daher eine besondere Sorgfalt bei der Indikationsstellung für Cannabisprodukte.

Die aus Sicht der Deutschen Schmerzgesellschaft wichtigsten Schlussfolgerungen aus der Datenerhebung:

Behandelnde Ärzte und Ärztinnen beschreiben bei Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen und Schmerzen oft einen positiven Effekt von Cannabismedikamenten. Bei ausgewählten Patienten mit chronischen Schmerzen und besonders in der Palliativmedizin sollten sie von spezialisierten Ärztinnen und Ärzten bürokratielos verschrieben werden können.

„Für die zukünftige Entwicklung sollten die Kriterien, nach denen eine Erkrankung für eine Cannabisbehandlung in Frage kommt, besser charakterisiert werden“, so apl. Prof. Dr. Winfried Meißner, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. „Eine Ausweitung der Indikation von Cannabisarzneimitteln mit Erstattung durch die Solidargemeinschaft sollte wie bei allen anderen Medikamenten entsprechend der etablierten Zulassungsverfahren erfolgen“, so der Schmergesellschaftspräsident.

Pressestelle der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V., 8.7.2022

Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V.: Begleiterhebung zu Cannabisarzneimitteln – Ergebnisse entsprechen den Erfahrungen in der Praxis

Im Juli hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Abschlussbericht der Begleiterhebung zur Verschreibung und Anwendung von Cannabisarzneimitteln veröffentlicht. In vielen Fällen wurde eine Verbesserung der Symptome und der Lebensqualität bei gutem Sicherheitsprofil berichtet. „Bezogen auf Menschen mit chronischen Schmerzen bestätigen die Ergebnisse unsere Erfahrungen aus der Praxis“, sagt Dr. Johannes Horlemann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS). Besonders Palliativpatienten können seiner Erfahrung nach von den Cannabis-Wirkungen profitieren.

Nach Ausschöpfung der Standardtherapien kann seit März 2017 Cannabis in bestimmten Fällen nach Genehmigung der Krankenkasse verordnet werden. Verknüpft mit der Einführung von Cannabis als Medizin war der Auftrag an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu einer Begleiterhebung. Deren Ergebnisse wurden nun veröffentlicht.

Die wichtigsten Ergebnisse der Begleiterhebung im Überblick:

  • 76,4 % Einsatz bei chronischen Schmerzen
  • 75 % der Fälle Verbesserung der Symptomatik
  • 70 % der Fälle Verbesserung der Lebensqualität
  • verordnete Arzneimittel: Dronabinol (62,2 %), Blüten (16,5 %), Extrakte (13 %), Sativex® (8 %)
  • mittlere Tagesdosis an THC bei Verwendung von Dronabinol, Cannabisextrakten und Sativex®: ca. 15 mg
  • mittlere Tagesdosis an THC bei Verwendung von Cannabisblüten: 249 mg
  • Nebenwirkungen waren häufig, aber in der Regel nicht schwerwiegend (Müdigkeit und Schwindel)
  • mit Cannabisblüten Behandelte bewerten den Therapieerfolg höher

DGS-Präsident: Positive Effekte von Cannabis, besonders in der Palliativmedizin

Die wichtigste Nachricht aus dem Abschlussbericht ist für Dr. Johannes Horlemann, dass Cannabinoide schwerkranken Menschen helfen können, wenn Standardtherapien erschöpft sind. „Viele Patienten berichten über positive Effekte und wenig Nebenwirkungen, wenn die Dosis vorsichtig auftitriert wird. Selbst Patienten oberhalb des 70. Lebensjahres berichten von einer guten Verträglichkeit“, so Horlemann. Die Bandbreite der Wirkungen komme seiner Erfahrung nach besonders Palliativpatienten zugute.

So wie die Autoren des Abschlussberichts sieht Horlemann die hohe THC-Dosis bei der Anwendung von Cannabis-Blüten kritisch: „Das Risiko von Missbrauch und Abhängigkeit ist beim Einsatz von Cannabisblüten eindeutig höher als bei anderen Applikationsformen, da häufig übertherapeutische Dosierungen erreicht werden.“

Weitere Evidenz erforderlich

Insgesamt hoffe die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin auf eine Verbesserung der Evidenzlage. Denn: „Cannabinoide können nicht jedem Patienten helfen“, so Horlemann. Außerdem bekräftigt der DGS-Präsident, dass die Verordnung dieser besonderen Substanzen eine Schulung der entsprechenden Fachgruppen erfordert.

Bei der Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln handelt es sich um eine nicht-interventionelle Untersuchung. BfArM und DGS weisen übereinstimmend darauf hin, dass die Daten klinische Studien nicht ersetzen können und bedauern, dass viele Ärzte die Verordnungen nicht gemeldet hatten. Von etwa 70.000 genehmigten Verordnungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen wurden nur 21.000 Fälle an das BfArM gemeldet.

Originalpublikation:
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Abschlussbericht der Begleiterhebung nach § 31 Absatz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Verschreibung und Anwendung von Cannabisarzneimitteln. 2022. www.bfarm.de/cannabis-begleiterhebung

Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V., 25.7.2022