Angehörigenarbeit in der Suchthilfe – Warum Verbesserungen in der Praxis notwendig sind

Anlass

Die negativen Auswirkungen von Substanzgebrauchsstörungen (SGS) auf die Gesundheit von Angehörigen wurden in verschiedenen Studien vielfach und eindeutig belegt (u. a. Fals-Stewart et al. 2004). Auch gibt es einen wissenschaftlich-fachlichen Konsens darüber, dass es sich bei Substanzgebrauchsstörungen gleichermaßen um Störungen im Familiensystem handelt und die Familiendynamik von den oftmals massiven psycho-sozialen Auswirkungen der SGS mitbetroffen ist (Lander et al. 2013). Angehörige stellen folglich eine wichtige Zielgruppe für die Suchthilfe dar, für die es gilt, ein flächendeckendes und bedarfsorientiertes Unterstützungsangebot zu schaffen.

In der Praxis sind Unterstützungsmöglichkeiten für diese Zielgruppe jedoch nach wie vor nicht flächendeckend implementiert. Auch nutzt ein großer Teil der Angehörigen von Menschen mit SGS die bestehenden Angebote im Suchthilfesystem nicht oder nur selten (Bischof et al. 2018a), und die Abbruchquote von Angehörigen bei der Inanspruchnahme von Hilfeangeboten fällt hoch aus (Berndt et al. 2017). Das von Larissa Hornig (Institut für Suchtforschung/ISFF, Frankfurt a. M.) verfasste und von akzept e. V. herausgegebene Positionspapier gibt einen Überblick über die gegenwärtigen Problemlagen und die hieraus resultierenden Empfehlungen und Möglichkeiten einer Weiterentwicklung in der Angehörigenarbeit. Sehr deutlich wird in dem Papier, wie wichtig und groß der Handlungs- und Forschungsbedarf im Hinblick auf die Gruppe der Angehörigen von Menschen mit Substanzgebrauchsstörungen ist.

Problembereiche

Die Angehörigenarbeit wird mittlerweile als fester Bestandteil der Behandlung von Substanzgebrauchsstörungen im Rahmen der medizinischen Rehabilitation bei Abhängigkeitserkrankungen aufgeführt (DRV o. J.). Der Einbezug von Angehörigen in den Therapieverlauf der Betroffenen findet somit statt und stellt einen günstigen Prognosefaktor dar. Eine einheitliche und konzeptionelle Verortung der Angehörigenarbeit mit eigenständigem Beratungs- und Behandlungsanspruch für diese Zielgruppe gibt es bislang jedoch nicht. Für Menschen mit einer SGS besteht ein flächendeckendes breites Spektrum an Angeboten, die Angebotsstruktur für Angehörige dagegen ist deutlich geringer ausgebaut (DHS 2019). Folglich werden die Auswirkungen von SGS auf das soziale Umfeld in Behandlungsleitlinien und der deutschen Suchtpolitik bislang nur eingeschränkt benannt, und Verweise auf evidenzbasierte Behandlungsangebote fehlen durchgängig (Bischof et al. 2018b).

Was muss passieren?

Um Angebote für Angehörige zu gestalten, die deren Bedürfnissen und Wünschen entsprechen, sollten folgende Empfehlungen umgesetzt werden:

  • Forschung im Hinblick auf soziodemographische Merkmale (Alter, Geschlecht, Bildungsstatus etc.), aber auch auf suchtspezifische Belastungsfaktoren (je nach Suchtmittel) von Angehörigen; auch sollten spezifische Bedarfe von bestimmten Angehörigengruppen wie Eltern, Kindern oder Partner:innen erforscht werden.
  • Entwicklung und Erprobung familientherapeutischer Konzeptionen sowie deren Integration in rehabilitative Behandlungskonzepte
  • Sensibilisierung von Kostenträgern zur Schaffung einer Regelfinanzierung von Angeboten für Angehörige im Rahmen der ambulanten und stationären Rehabilitation
  • Flächendeckender Aufbau von systemisch-familientherapeutischen Weiterbildungen in der Suchttherapie
  • Interdisziplinäre Vernetzung und Kooperation an Schnittstellen zwischen Einrichtungen der Suchthilfe und Institutionen außerhalb des Suchthilfesystems wie Hausärzt:innen, Jugendhilfe, Polizei oder Gerichtsbarkeit
  • Schaffung niedrigschwelliger Zugänge durch beispielsweise die Anonymisierung von Unterstützungsangeboten oder die Etablierung von Chatfunktionen
  • Abbau von Stigmata und Enttabuisierung der Thematik der Mit-Betroffenheit von Angehörigen durch weitere Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit (Entstigmatisierungskampagnen, Werbung von Einrichtungen der Suchthilfe für Unterstützungsangebote, themenspezifische Fachtagungen/Kongresse etc.)

Das vollständige Positionspapier steht auf der Website von akzept e. V. (Drogenpolitik National) zum Download zur Verfügung.

Text: Larissa Hornig, Institut für Suchtforschung/ISFF, Frankfurt a. M., 28.6.2023

Literatur:

Berndt J, Bischof A, Besser B. et al. Abschlussbericht. Belastungen und Perspektiven Angehöriger Suchtkranker: ein multi-modaler Ansatz (BEPAS). Lübeck; 2017. Im Internet: www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Drogen_und_Sucht/Berichte/Abschlussbericht/171109_Abschlussbericht_BEPAS.pdf; Stand: 20.03.2023.

Bischof G, Meyer C, Batra A et al. Angehörige Suchtkranker: Prävalenz, Gesundheitsverhalten und Depressivität. SUCHT 2018a, 64:2, 63-72. https://doi.org/10.1024/0939-5911/a000530.

Bischof G, Besser B, Bischof A et al. Positionspapiere und Leitbilder zu Angehörigen Suchtkranker POLAS. Abschlussbericht an das Bundesministerium für Gesundheit. Lübeck; 2018b. Im Internet: www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Drogen_und_Sucht/Berichte/Abschlussbericht/2018-07-18POLAS-Abschlussbericht.pdf; Stand: 20.03.2023.

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Die Versorgung von Menschen mit Suchtproblemen in Deutschland – Analysen der Hilfen und Angebote & Zukunftsperspektiven. Update 2019. Im Internet: https://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/suchthilfe/Versorgungssystem/Die_Versorgung_Suchtkranker_in_Deutschland_Update_2019.pdf; Stand: 20.03.2023.

Deutsche Rentenversicherung. Die Rolle der Angehörigen in der medizinischen Rehabilitation. Aufgaben, Erwartungen, Empfehlungen; o.J. Im Internet: file://///fsa/share/home/uas0023819/Downloads/download_angehoerige_reha-1.pdf; Stand: 20.03.2023.

Fals-Stewart W, O’Farrell TJ, Birchler GR. Behavioral couples therapy for substance abuse: rationale, methods, and findings. Sci Pract Perspect. 2004 Aug; 2(2): 30-41. doi: 10.1151/spp042230.

Lander L, Howsare J, Byrne M. The Impact of Substance Use Disorders on Families and Children: From Theory to Practice. Soc Work Public Health 2013; 28(0): 194–205. Im Internet: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23731414/; Stand: 30.03.2023. DOI:10.1080/19371918.2013.759005.