Aktuelle Drogenmarktanalysen der EMCDDA und von Europol

Die Rolle Europas bei der internationalen Drogenherstellung und dem internationalen Drogenhandel verändert sich, wie neue Analysen zeigen, die am 6. Mai von der EU-Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA) und Europol veröffentlicht wurden. Die Online-Module über die Märkte für Kokain und Methamphetamin sind in englischer Sprache verfügbar. Weitere Module werden 2023 veröffentlicht. Die Daten beziehen sich auf den Zeitraum 2018 bis 2020. Im Rahmen einer eingehenden Untersuchung der Märkte für Kokain und Methamphetamin weisen die Agenturen auf eine Zunahme der Produktionstätigkeit in Europa und auf die Tatsache hin, dass die Zusammenarbeit zwischen kriminellen Gruppen weltweit neue Sicherheitsbedrohungen schafft und den Markt erweitert.

Die neuen Analysen befassen sich mit Trends entlang der Lieferkette von der Produktion über den Handel bis hin zum Vertrieb und Konsum. Sie beschreiben einen großen und expandierenden Kokainmarkt und einen derzeit kleinen, aber stetig wachsenden Methamphetamin-Markt in der EU. Darüber hinaus warnen sie vor der erhöhten Bedrohung durch Innovationen bei Produktionsprozessen und chemischen Vorläufer-Substanzen sowie vor einer wachsenden Palette von Produkten, die für Konsumenten gefährlich sein können.

Europa ist eine der wichtigsten Regionen für die Herstellung synthetischer Drogen, und zwar sowohl für den heimischen Markt als auch für den Auslandsmarkt. In zunehmendem Maße ist es auch ein wichtiger Umschlagplatz für Drogen, die aus anderen Ländern stammen und für andere Regionen der Welt bestimmt sind. Sowohl bei Kokain als auch bei Methamphetamin gibt es Hinweise darauf, dass lateinamerikanische und europäische kriminelle Gruppen in der Herstellung, dem Handel und dem Vertrieb Partnerschaften eingehen.

Catherine De Bolle, die Exekutivdirektorin von Europol, betont: „Der Handel mit illegalen Drogen dominiert nach wie vor die schwere und organisierte Kriminalität in der EU. Fast 40 Prozent der bei Europol gemeldeten, auf internationaler Ebene operierenden kriminellen Netzwerke sind im Drogenhandel aktiv. Die Bekämpfung dieses illegalen Handels hat zentrale Priorität für Europol und für die EU. Die aktuelle Analyse unterstützt uns dabei, die Marktdynamik zu verstehen, und ist für die Formulierung wirksamer Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden von entscheidender Bedeutung.“

Die aktuellen Erkenntnisse stützen sich auf Daten und Informationen aus dem Drogenbeobachtungssystem der EMCDDA und auf die operativen Erkenntnisse von Europol zur organisierten Kriminalität. Im Rahmen eines Ansatzes zur Bewertung der Bedrohungslage stellen die Agenturen Schlüsselbereiche für Maßnahmen auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten vor. Dazu gehören: die rasche Ermittlung aufkommender Gesundheits- und Sicherheitsbedrohungen, Investitionen in forensische und toxikologische Kapazitäten, um mit Innovationen Schritt zu halten, die Bekämpfung der illegalen Drogenlieferkette und die Verringerung von Schwachstellen an den Außengrenzen.

Kokain – Rekordsicherstellungen und steigende Produktion in Europa

Die aktuelle Analyse zeigt, dass der europäische Kokainmarkt expandiert, was auf einen beispiellos umfangreichen Handel zurückzuführen ist, der zu einer historisch hohen Verfügbarkeit führt. Die hohe Kokainproduktion in Südamerika hat dazu geführt, dass in Europa Rekordmengen sichergestellt wurden. Europa ist auch eine Transitzone für Kokain, das für den Nahen Osten und Asien bestimmt ist. Inzwischen wird auch innerhalb Europas mehr produziert, was auf Veränderungen in der Rolle der Region im internationalen Kokainhandel hindeutet. Die komplexe Versorgung mit Kokain in der EU wird von einer Vielzahl von Personen und kriminellen Netzwerken bestimmt. Das Potenzial für das Auftauchen neuer rauchbarer Kokainprodukte auf dem Markt gibt Anlass zu Bedenken hinsichtlich künftiger Gesundheitsrisiken.

Kokain ist nach Cannabis die am zweithäufigsten konsumierte illegale Droge in der EU, wobei der Wert des Endverbrauchermarktes für das Jahr 2020 auf 10,5 Mrd. EUR geschätzt wird (Spanne: 7,7 Mrd. EUR bis 12,8 Mrd. EUR). Rund 3,5 Millionen Europäerinnen und Europäer (zwischen 15 und 64 Jahren) haben diese Droge ihren Angaben zufolge in den letzten zwölf Monaten konsumiert, und 14 Millionen haben sie mindestens einmal in ihrem Leben konsumiert. Während sich der Kokainkonsum nach wie vor auf den Süden und Westen Europas konzentriert, scheint sich der Markt nach Osten auszubreiten.

Im vierten Jahr in Folge wurden in Europa im Jahr 2020 Rekordmengen an Kokain (214,6 Tonnen) sichergestellt, was einem Anstieg um 6 % gegenüber 2019 entspricht, was auf eine hohe Verfügbarkeit der Droge hindeutet. Drei Länder – Belgien (70 t), die Niederlande (49 t) und Spanien (37 t) – machten etwa drei Viertel der europäischen Gesamtmenge aus, aber auch Italien (13,4 t), Frankreich (13,1 t), Deutschland (11 t) und Portugal (10 t) stellten große Mengen sicher. Der größte Teil des in Europa sichergestellten Kokains kommt in Seetransportcontainern an. Die Punkte, an denen Kokainlieferungen in die EU gelangen, werden immer vielfältiger, wobei in den Häfen in Osteuropa und der Türkei immer größere Mengen sichergestellt werden.

Die Herstellung von Kokain erfolgt nach wie vor größtenteils in Kolumbien, Bolivien und Peru. Die neue Analyse beschreibt jedoch, wie die Kokainverarbeitung derzeit innerhalb Europas stattfindet (hauptsächlich in Belgien, Spanien und den Niederlanden). Große Mengen an chemischen Vorläufersubstanzen, die bei der Kokainherstellung verwendet werden, wurden in illegalen Produktionslabors und an europäischen Grenzen sichergestellt. Jüngste Daten deuten auch darauf hin, dass in Europa große Mengen Kokainpulver aus Zwischenprodukten wie Kokapaste und Kokainbase verarbeitet wurden. Einige davon werden aus Südamerika in Trägermaterialien (z. B. Holzkohle, Kunststoffe) nach Europa geschmuggelt und dann in spezialisierten Einrichtungen extrahiert.

Durch die Verfügbarkeit großer Mengen an Kokainbase und Kokapaste in Europa entsteht die Gefahr, dass auf den europäischen Konsumentenmärkten neue rauchbare Kokainprodukte (z. B. „Crack“) auftauchen, die erhebliche gesundheitliche und soziale Risiken verursachen.

Methamphetamin – ein kleiner, aber stetig wachsender Markt

Methamphetamin – das weltweit am häufigsten konsumierte synthetische Stimulanz – spielt auf dem europäischen Drogenmarkt nach wie vor eine relativ geringe Rolle. Die jüngste Analyse zeigt jedoch, dass die Bedrohung durch diese Droge in der Region wächst, da ihre Verfügbarkeit zunimmt und sich ihr Konsum auf neue Gebiete ausweitet. Methamphetamin wird innerhalb der EU hergestellt, um sowohl inländische als auch externe Märkte zu versorgen. Europa ist Zielort, aber auch Transitgebiet für diese Droge von anderen Produktionsstandorten (z. B. Iran, Nigeria, Mexiko) nach Asien und Ozeanien. Die neu entstehende Methamphetamin-Industrie in Afghanistan stellt angesichts der wettbewerbsfähigen Preise und der seit langem bestehenden Drogenschmuggelrouten nach Europa eine Bedrohung für die EU dar.

Die aktuelle Analyse zeigt, dass langfristige Trends auf ein stetiges Marktwachstum hindeuten. Zwischen 2010 und 2020 hat sich die Zahl der Sicherstellungen von Methamphetamin in der EU-27 mehr als verdoppelt (von 3 000 auf 6 200), während die sichergestellten Mengen im Jahr 2020 um 477 % auf 2,2 Tonnen gestiegen sind (EU-27).

Im Jahr 2020 meldeten neun EU-Mitgliedstaaten die Aushebung von 215 Methamphetamin-Laboren. Die Produktion in Europa fand in der Regel in kleinen, aber weit verbreiteten „Küchen“-Laboren in Tschechien und seinen Nachbarländern statt. Diese gibt es noch immer, doch es wächst die Besorgnis über Produktionsanlagen in Belgien und den Niederlanden, in denen Methamphetamin in erheblich größerem Umfang hergestellt werden kann.

Die in Belgien und den Niederlanden entdeckten Produktionsstätten für Methamphetamin haben seit 2019 an Größe, Differenziertheit und Produktionsleistung zugenommen. Da die europäischen Hersteller synthetischer Drogen die Rentabilität von Methamphetamin erkannt haben, arbeiten sie nun mit mexikanischen kriminellen Gruppen zusammen, um Produktionsverfahren zu entwickeln und die bestehende Infrastruktur in Europa zu nutzen. Neben dem in Europa hergestellten Methamphetamin wurden seit 2019 in der EU mehrere Tonnen der Droge mit Ursprung in Mexiko sichergestellt. Diers deutet ebenfalls auf eine Zusammenarbeit zwischen europäischen und mexikanischen kriminellen Netzwerken hin.

Eine weitere Entwicklung ist die Herstellung von Methamphetamin in Afghanistan, auch wenn das Land derzeit offenbar keine wichtige Versorgungsquelle für die EU darstellt. Angesichts des relativ niedrigen Großhandelspreises für afghanisches Methamphetamin könnten kriminelle Netzwerke es jedoch als wirtschaftlich attraktiv erachten, die Droge entlang etablierter Heroinschmuggelrouten in die EU zu schmuggeln.

Der Methamphetamin-Konsum in Europa konzentrierte sich in der Vergangenheit auf Tschechien und die Slowakei, doch scheint sich der Konsum auch anderswo zu verbreiten. Die jüngsten Abwasserdaten zeigen, dass die Droge auch in Belgien, Zypern, im Osten Deutschlands, Spanien, der Türkei und mehreren nordeuropäischen Ländern (z. B. Dänemark, Lettland, Litauen, Finnland und Norwegen) vorkommt. Von den 58 Städten, aus denen für 2020 und 2021 Daten über Methamphetamin-Rückstände in kommunalen Abwässern vorliegen, meldete etwa die Hälfte (27) einen Anstieg.

Das auf dem europäischen Markt steigende Methamphetamin-Angebot lässt eine wachsende Nachfrage befürchten, insbesondere nach Methamphetamin in der rauchbaren Form („Crystal Meth“). Dies könnte langfristige Auswirkungen haben, einschließlich einer größeren Belastung der Gesundheitssysteme und einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit.

Querschnittsthemen

Logistik – ein sich entwickelndes paralleles Geschäft

Während etablierte kriminelle Netzwerke ihre Aktivitäten meist selbst verwalten, lagern andere nun eine Reihe von Dienstleistungen entlang der Lieferkette aus. Die aktuellen Analysen zeigen, dass die logistische Unterstützung zu einem Parallelgeschäft geworden ist, bei dem sich einige kriminelle Gruppen auf die Bereitstellung von Chemikalien, Ausrüstung und Fachkenntnissen spezialisiert haben, die für die Einrichtung und den Betrieb von Produktionsanlagen erforderlich sind. Die Analyse der verschlüsselten kriminellen Kommunikation im Rahmen kürzlich aufgetretener öffentlichkeitswirksamer Operationen hat gezeigt, dass der Handel häufig auf ein Netz von Schleusern und Vermittlern angewiesen ist, die Produzenten, Spediteure und Distributoren miteinander verbinden. Die europäischen kriminellen Netzwerke steigern die Effizienz ihrer Produktion, indem sie sich auf das Know-how ihrer Partner in lateinamerikanischen Drogenerzeugerregionen stützen.

Zunehmende Gewalt und Korruption

Gewalt und Korruption, die in traditionellen Drogenproduktionsländern schon lange beobachtet werden, breiten sich zunehmend innerhalb der EU aus. Die Analysen machen deutlich, dass in einigen EU-Mitgliedsstaaten (Belgien, Spanien, FrankreichNiederlande) der Wettbewerb zwischen den Drogenlieferanten zugenommen hat, was zu einer Zunahme der gewalttätigen Auseinandersetzungen geführt hat. Der expandierende Kokainmarkt in der EU hat zu einem Anstieg von Morden, Entführungen und Einschüchterungen geführt, wobei sich die Gewalt auf Personen außerhalb des Drogenmarktes ausweitete (z. B. Rechtsanwälte, Regierungsbeamte, Journalisten). Mittlerweile hat der Anstieg der Methamphetamin-Produktion in Europa das Potenzial, „die Korruption entlang der Lieferkette zu verstärken und so eine Parallelwirtschaft zu schaffen“. Korruption gilt als eine der größten Bedrohungen in der EU. Schätzungsweise bedienen sich  fast 60 % der kriminellen Netze der Korruption.

Umweltschäden, -risiken und -kosten

Ein wichtiges Querschnittsthema der aktuellen Erkenntnisse sind die Umweltauswirkungen der Drogenherstellung. Dazu gehört die Entsorgung chemischer Abfälle, die zu ökologischen Schäden, Risiken für die öffentliche Sicherheit und hohen Sanierungskosten führen kann. In Belgien und den Niederlanden wurden in den letzten Jahren in Laboren zur Herstellung synthetischer Drogen Todesfälle infolge von Bränden und Explosionen oder Erstickungen durch Kohlenmonoxid oder andere giftige Dämpfe verzeichnet.

Auswirkungen von COVID-19 auf die Märkte

Trotz der beispiellosen Störungen durch die COVID-19-Pandemie haben sich die Märkte für Kokain und Methamphetamin in der EU weiter entwickelt. Analysen zeigen, dass die COVID-19-Beschränkungen auf der Endkundenebene stärker zu spüren waren als auf der Vorleistungsebene. Dort wurde der Kokainschmuggel über Seerouten auf dem Niveau von vor der Pandemie fortgesetzt. Die Drogenmärkte für Endkunden wurden während der frühen Lockdowns gestört, obwohl sich die Händler schnell mithilfe neuer Methoden (verschlüsselte Nachrichtendienste, Social-Media-Apps, Online-Bezugsquellen und Lieferungen nach Hause) angepasst haben. Im Jahr 2020 war Methamphetamin eine der Drogen, die am häufigsten in Postsendungen sichergestellt wurden.

Gemeinsame Pressemitteilung der EU-Drogenbeobachtungsstelle und Europol, 6.5.2022