Ängste und Depressionen bei Schulkindern

Fast acht Prozent aller depressiven Kinder zwischen zehn und 17 Jahren kommen innerhalb eines Jahres ins Krankenhaus, durchschnittlich für 39 Tage. Nach der Entlassung fehlt oft eine passende ambulante Nachsorge. Folge: Fast jedes vierte dieser Kinder wird innerhalb von zwei Jahren mehrfach stationär behandelt. Das zeigt der aktuelle Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit mit dem Schwerpunkt „Ängste und Depressionen bei Schulkindern“. Basis für die repräsentative Studie sind Abrechnungsdaten der Jahre 2016 und 2017 von rund 800.000 minderjährigen DAK-Versicherten. Laut Auswertung durch die Universität Bielefeld hat die Zahl der Klinikeinweisungen wegen Depressionen in diesem Zeitraum um fünf Prozent zugenommen. Ferner zeigen die Daten, dass chronische Krankheiten das Risiko für eine Depression deutlich erhöhen. Der Report ist beim Verlag medhochzwei, Berlin, veröffentlicht und steht auch auf Homepage der DAK auch als Download zur Verfügung.

Durch einen Krankenhausaufenthalt kommen die betroffenen depressiven Kinder für durchschnittlich 39 Tage aus ihrem Schul- und Familienalltag raus. „Die Stigmatisierung, die sich mit einem langen Aufenthalt in der Jugendpsychiatrie verbindet, ist für die Betroffenen eine zusätzliche Belastung. Wir brauchen eine offene Diskussion über das Tabuthema Depression bei Kindern“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Wir haben offenkundige Versorgungslücken nach der Krankenhausentlassung, die wir dringend schließen müssen. Eine Rehospitalisierungsquote von 24 Prozent ist alarmierend.“ Die Krankenkasse startet deshalb das neue integrierte Versorgungsangebot „veo“, das depressiven Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren für drei Jahre eine vernetzte ambulante Nachsorge und Versorgung ermöglicht.

Laut Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit zeigt jedes vierte Schulkind psychische Auffälligkeiten. Zwei Prozent leiden an einer diagnostizierten Depression, ebenso viele unter Angststörungen. Hochgerechnet sind insgesamt etwa 238.000 Kinder in Deutschland im Alter von zehn bis 17 Jahren so stark betroffen, dass sie einen Arzt aufsuchen. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Depressionshäufigkeit 2017 um fünf Prozent gestiegen. In den oberen Schulklassen leiden doppelt so viele Mädchen wie Jungen unter ärztlich diagnostizierten Depressionen. Die Entwicklung bei den Geschlechtern geht spätestens ab dem 14. Lebensjahr deutlich auseinander.

„Bestimmte Schulkinder haben ein stark erhöhtes Risiko für eine Depression“, sagt DAK-Vorstandschef Storm. „Diese Kinder leiden oft leise, bevor sie eine passende Diagnose bekommen. Wir müssen alle aufmerksamer werden – ob in der Familie, in der Schule oder im Sportverein.“ Der Report zeigt erstmals auf Basis von Abrechnungsdaten, wie stark bestimmte Faktoren die Entwicklung eines Seelenleidens beeinflussen. So tragen Kinder mit einer chronischen körperlichen Erkrankung insbesondere im Jugendalter ein bis zu 4,5-fach erhöhtes Depressionsrisiko. Für eine Angststörung ist das Risiko bis zu 3-fach erhöht. Auch bei Adipositas und Schmerzen gibt es deutliche Zusammenhänge: Unabhängig vom Alter sind Jungen und Mädchen mit krankhaftem Übergewicht 2,5- bis 3-mal häufiger von einer depressiven Störung betroffen als Gleichaltrige mit normalem Körpergewicht. Bei Kindern, die unter Schmerzen leiden – Rücken-, Kopf-, Bauch- oder Beckenschmerzen –, besteht ein 2- bis 2,5-faches Risiko. Auch das familiäre Umfeld kann ein Faktor sein: Kinder seelisch kranker Eltern sind deutlich gefährdeter (3-fach), selbst eine depressive Störung zu entwickeln. Kinder suchtkranker Eltern sind ebenfalls signifikant häufiger betroffen (2,4-mal häufiger) als Gleichaltrige aus suchtfreien Elternhäusern.

Depressionen und Angststörungen zählen nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den schwerwiegendsten Leiden in der Gruppe der psychischen Erkrankungen. Laut Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit treten beide Diagnosen häufig parallel auf. So hat fast ein Viertel (24 Prozent) aller depressiven Mädchen zusätzlich eine Angststörung. Bei Jungen sind es 17 Prozent. Depressionen sind gekennzeichnet durch Niedergeschlagenheit, Traurigkeit und Interessenverlust. Bei schweren depressiven Episoden haben die jungen Patienten Schwierigkeiten, ihre alltäglichen Aktivitäten fortzusetzen. Sie ziehen sich stark zurück, schaffen es kaum noch, in die Schule zu gehen. 41 Prozent aller Fälle im Jahr 2017 diagnostizieren die Ärzte als mittelschwer oder schwer. Bei Angststörungen ist der natürliche Angstmechanismus des Menschen aus den Fugen geraten. Die Betroffenen zeigen Reaktionen, die der jeweiligen Situation nicht angemessen sind und losgelöst von einer realen äußeren Gefährdung ablaufen.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte begrüßt den neuen Report: „Die erstmals mit Krankenkassendaten untermauerten Erkenntnisse zu frühen psychischen Problemen sind sehr wertvoll. Im Report sehen wir allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus“, sagt Präsident Dr. Thomas Fischbach. „Es gibt sehr viele Kinder, die leiden und erst spät zu uns in die Praxen kommen. Erst wenn sie eine entsprechende Diagnose haben, tauchen sie in dieser Statistik auf.“ Auf Grundlage des Reports wollen die DAK-Gesundheit und der Verband die bestehende Versorgung von Kindern und Jugendlichen weiter optimieren.

„Mit dem Kinder- und Jugendreport 2019 haben wir belastbare Analysen zur Versorgungssituation von Kindern mit psychischen Auffälligkeiten“, erklärt Professor Dr. Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld als Studienleiter. Die Untersuchung zeige auch, welche Leistungen junge Patienten mit psychischen Problemen zusätzlich beanspruchen. So haben Schulkinder wegen einer Depression durchschnittlich 4,4 zusätzliche Arzttermine pro Jahr (mit Angststörungen: plus 4,1 Termine). Vor allem im späten Jugendalter bekommen sie auch regelmäßig Antidepressiva: Mehr als jedes vierte Mädchen und jeder sechste Junge im Alter zwischen 15 und 17 Jahren nimmt ein entsprechendes Arzneimittel ein. Angststörungen werden hingegen seltener medikamentös therapiert; nur halb so viele Jugendliche mit Angststörungen bekommen Medikamente verschrieben (sieben Prozent aller Jungen und elf Prozent aller Mädchen).

Pressestelle der DAK Gesundheit, 21.11.2019