Julia Klinkhamer, Prof. Dr. Knut Tielking

Prävention von Suchtproblemen bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung

Prof. Dr. Knut Tielking

Julia Klinkhamer

Einleitung

Während Suchtprävention als Gesundheitsthema in der Gesellschaft bereits etabliert ist, steht sie bezogen auf Menschen mit geistiger Beeinträchtigung noch vor besonderen Herausforderungen. Die zunehmende Verselbstständigung führt dazu, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung vermehrt Suchtmittel wie Alkohol und Tabak konsumieren (Jung/Nachtigal 2018). Sie benötigen spezielle Präventionsangebote, da herkömmliche Programme oft nicht ausreichend auf ihre Bedürfnisse eingehen (Tielking/Rabes 2022). Aufgrund ihrer Beeinträchtigung weisen sie ein erhöhtes Risiko für einen problematischen Konsum auf. Es besteht daher die Notwendigkeit, ein neues Bewusstsein für den Konsum zu schaffen und dieser Zielgruppe die erforderlichen Werkzeuge und Strategien zur Verfügung zu stellen, um eine gesunde und bewusste Entscheidungsfindung zu unterstützen.

Der Caritasverband für den Landkreis Emsland hat es in Angriff genommen, diese entscheidende Versorgungslücke mit dem Selbstkontrolltraining „Suchtprävention inklusiv (SUPi)“ zu schließen. SUPi geht neue Wege im Hinblick auf Inklusion und Partizipation und ermöglicht den Menschen den Zugang zur Suchtprävention in Form eines bundesweit einmaligen Gruppenangebotes. Eine innovative, zielgruppenadäquate Wirkungsevaluation durch die Hochschule Emden/Leer begleitet die Teilnehmenden und Trainer:innen im Trainingsprozess.

Problemhintergrund

Anforderungen aus Sicht der UN-Behindertenrechtskonvention

Die Anerkennung und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland sowie die damit einhergehende Inklusion stärkten die Position von Menschen mit Beeinträchtigung. Die Kernpunkte Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Teilhabe sollen umgesetzt werden (BMAS 2011). Erklärtes Ziel dieser Konvention ist die „gleichberechtigte Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben“ (ebd. S. 10). Im März 2009 ratifizierte die Bundesrepublik Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention. Infolgedessen ist sie verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen Zugang zu Gesundheitsdiensten und gesundheitlicher Rehabilitation erhalten (BMAS 2011).
Auch das im Jahr 2016 verabschiedete Bundesteilhabegesetz (BTHG) verfolgt das Ziel, die „volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft [für Menschen mit Beeinträchtigungen] zu fördern“ (§ 1 SGB IX) und Benachteiligungen für diesen Personenkreis zu vermeiden. Gemäß § 118 SGB IX des BTHG sollen sich die Instrumente zur Bedarfsermittlung an der ICF orientieren. Dies legt bundesweit die Grundlage für das bio-psycho-soziale Modell sowie für ethische Leitlinien im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen fest (BMAS 2023).

Anforderungen aus Sicht des Präventionsgesetzes

Am 18. Juni 2015 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz, PrävG). Ziel dieses Gesetzes ist es, der Prävention in unserer Gesellschaft einen angemessenen Stellenwert zuzuweisen. Der Gesetzesansatz beinhaltet die Unterstützung aller Menschen, gesundheitsförderliche Lebensweisen in ihren individuellen Lebensumgebungen zu entwickeln und im täglichen Leben umzusetzen (BMG 2023). Insbesondere in der Lebenswelt von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zeigt sich, dass diese Forderung bisher schwierig umzusetzen ist. Zielgruppenadäquate Angebote in Form eines Gruppentrainings zur Suchtprävention gibt es derzeit nicht (Feldmann 2020).

Anforderungen aus Sicht der Gesundheitspolitik

Die zunehmende Verselbstständigung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung führt neben individuellen Herausforderungen zu veränderten, ambulanten Wohnformen in der Behindertenhilfe. Aufgrund der Intelligenzminderung kann dies zu Problemen im Konsumverhalten führen, da der Konsum nicht realistisch eingeschätzt werden kann und die Selbstreflexion nur eingeschränkt möglich ist (Feldmann 2020; Sandfort 2022). Insbesondere im Bereich der Prävention müssen Instrumente entwickelt und angewendet werden, um diese spezielle Zielgruppe, ebenso wie alle anderen Bürger:innen, zu befähigen, ihren Konsum frühzeitig zu überprüfen. Es herrscht ein akuter Mangel an entsprechenden Angeboten, der – sofern er nicht behoben wird – zu einem Anstieg der Zahl suchtmittelabhängiger Menschen mit geistiger Beeinträchtigung führen könnte (Jung/Nachtigal 2018).

Studienlage

Laut dem Bundesministerium für Gesundheit existieren auf Bundesebene keine Studien zu den Prävalenzen des Suchtmittelkonsums bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Verfügbare Informationen basieren auf regionalen Untersuchungen, die nahelegen, dass der missbräuchliche oder problematische Suchtmittelkonsum in dieser Zielgruppe ähnlich ausgeprägt ist wie in der restlichen Gesellschaft (BMG 2017).

Im Rahmen des Modellprojektes „Vollerhebung Sucht und geistige Behinderung in NRW“ wurde im Jahr 2011 eine Umfrage unter Mitarbeiter:innen in Einrichtungen für Behinderten- und Suchthilfe in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Ziel war es, valide Aussagen über den Suchtmittelkonsum bei erwachsenen Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zu erhalten. Zwei Drittel der Befragten (66,7 %; N=780) gaben an, dass aufgrund von riskantem oder abhängigem Substanzkonsum Probleme in der jeweiligen Einrichtung aufgetreten seien. Die Häufigkeit des problematischen Substanzkonsums bei den Betreuten wurde wie folgt eingeschätzt (Kretschmann-Weelink 2013):

  1. Nikotinkonsum: 32,5 %,
  2. Alkoholkonsum: 15,7 %,
  3. verhaltensbezogene Störungen (insbesondere Computerspiele): 14,2 %

Im Projekt „Geistige Behinderung – problematischer Konsum – (k)ein Thema?!“ wurde 2019 eine regionale Bedarfsanalyse im nördlichen Emsland durchgeführt. Mitarbeiter:innen einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen (St. Lukas Papenburg) wurden zur Substanznutzung der Betreuten befragt (N=506). Drei Viertel (76 %) betrachteten es als wichtig, sich mit dem Thema des problematischen Konsums bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zu befassen. Bei 21,8 % der Betreuten wird der Konsum von Suchtmitteln als problematisch eingestuft. Es ergab sich folgendes Ranking der von den Betreuten konsumierten Suchtmittel (Feldmann et al. 2020):

  1. Nikotin (53,3 %)
  2. Alkohol (27,3 %)
  3. Computer-/Handynutzung (20,9 %)
  4. Cannabis (5,9 %)
  5. Glücksspiel (3,7 %)
  6. Sonstige Drogen (7,0 %)

Das Trainingsprogramm SUPi

Die Zielgruppe: Menschen mit geistiger Beeinträchtigung

Zielgruppe des SUPi-Angebotes sind Menschen mit geistiger Beeinträchtigung im Erwachsenenalter, die durch Angebote der kooperierenden Einrichtungen unterstützt werden. Über diese Einrichtungen erfolgt zugleich der Zugang zur Zielgruppe. Ein wichtiges Kriterium ist eine mögliche Auffälligkeit im Konsumverhalten (Feldmann 2020).

Unter „geistiger Beeinträchtigung“ ist ein andauernder Zustand zu verstehen, der durch deutlich unterdurchschnittliche kognitive Fähigkeiten und die damit verbundenen Einschränkungen des affektiven Verhaltens gekennzeichnet ist (Theunissen 2011). Diese Beeinträchtigung kann sich auf die intellektuelle Entwicklung, die Lernfähigkeit und die allgemeine Lebensführung auswirken. Menschen mit geistiger Beeinträchtigung haben unterschiedliche Grade von Einschränkungen in der kognitiven Funktionalität. Ihre Fähigkeit, Informationen zu verstehen, zu verarbeiten und zu kommunizieren, wird dadurch unterschiedlich stark beeinflusst. In der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD) wird diese Erkrankung als „Intelligenzminderung“ (F70-79) klassifiziert.

Vorerfahrung des Caritasverbandes für den Landkreis Emsland

 Im Rahmen des Projektes „Geistige Behinderung – problematischer Konsum – (k)ein Thema?!“ wurden in Kooperation mit St. Lukas Papenburg Maßnahmen entwickelt, die als Grundlage zur Förderung der Gesundheit der benannten Zielgruppe dienen können sollten. Ein Baustein war das Selbstkontrolltraining „SKOLL“, welches nach § 20 SGB V als Leistung der Primären Prävention und Gesundheitsförderung anerkannt ist. In der Umsetzung stellte sich heraus, dass das bestehende Trainingsmanual aufgrund der Beeinträchtigungen der Zielgruppe nicht zum Einsatz kommen kann (Feldmann 2020).

Besondere Bedürfnisse von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung

Das SUPi-Training wurde entwickelt, um den Bedürfnissen von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung gerecht zu werden. Dabei wurde besonders darauf geachtet, die Inhalte an die individuellen Erfahrungen und die Lebenswelt der Teilnehmenden anzupassen (Moisl 2017). Die eingesetzten Materialien sind in Leichter Sprache verfasst und auf die kognitiven Fähigkeiten der Teilnehmenden abgestimmt. Die Leichte Sprache ist eine spezielle Form der sprachlichen Darstellung, um Informationen barrierefrei verständlich und zugänglich zu machen. Komplizierte Grammatikstrukturen werden reduziert und einfache Wörter anstelle von Fachbegriffen verwendet. Zudem werden unterstützende visuelle Elemente wie Symbole und Zeichnungen auf Arbeitsblättern eingesetzt, um die relevanten Inhalte zu vermitteln (Ahlers et al. 2023).

Um bestmöglich auf die Zielgruppe einzugehen, wird das Training von Tandems ausgebildeter Fachkräfte aus der Sucht- und Behindertenhilfe durchgeführt. Beide Bereiche bringen spezifisches Fachwissen mit: Die Suchthilfe bietet Kenntnisse über Suchtprävention und Suchtbehandlung, während die Behindertenhilfe sich auf die Bedürfnisse und Unterstützung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung spezialisiert hat. Die Kombination dieser Hilfesysteme stellt sicher, dass die Zielgruppe bei ihrer selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung im Hinblick auf einen gesundheitsgerechten Umgang mit Suchtmitteln optimal begleitet und unterstützt wird (Feldmann 2020).

Der SUPi-Aufbau

Das SUPi-Training zielt darauf ab, zu einem gesundheitsbewussten Umgang mit den von den Teilnehmenden genannten Suchtmitteln zu motivieren. Es besteht aus zwölf wöchentlichen Sitzungen. In den 90-minütigen Kurseinheiten werden verschiedene didaktische Methoden und Materialien eingesetzt, um wiederholt über die Auswirkungen des Konsums zu informieren und das Wissen darüber zu vertiefen. Durch dieses Vorgehen sollen sich die Teilnehmenden Informationen besser aneignen können (Sandfort 2022) und ein tieferes Verständnis für den eigenen Konsum, insbesondere von Alkohol und Tabak, erlangen. Die Teilnehmenden erhalten während des Trainings Hilfestellung für die Entwicklung individueller Strategien, mit denen sie ihren Konsum reduzieren und ihre Impulskontrolle verbessern können (Feldmann 2020; Ahlers et al. 2023).

Es wird ein individueller Plan erstellt, in dem jedes Gruppenmitglied sein persönliches Ziel festlegt. Dieser Plan erfasst den aktuellen Status, den die Teilnehmenden verändern möchten, und formuliert einen angestrebten Zielzustand. Um diese Ziele zu erreichen, werden Strategien zur Umsetzung mit den durchführenden Fachkräften besprochen (Ahlers et al. 2023). Die Trainer:innen stehen den Gruppenmitgliedern während des Umsetzungsprozesses ihrer Ziele kontinuierlich unterstützend zur Seite (Feldmann 2020). Folgende Übersicht zeigt die inhaltlich aufeinander aufbauenden Kurseinheiten (Abb. 1).

Abb. 1: SUPi-Kurseinheiten. Eigene Darstellung.

Zertifizierung und Krankenkassenanerkennung

Es wird eine Zertifizierung des SUPi-Trainings als qualitativ hochwertige Präventionsmaßnahme durch die Zentrale Prüfstelle Prävention sowie die Aufnahme in die Grüne Liste Prävention angestrebt. Dies dient dem übergeordneten Interesse, dass Krankenkassen das Training gemäß § 20 SGB V in ihr Leistungsangebot aufnehmen und damit die Implementierung in weiteren Einrichtungen erleichtern. Voraussetzung für die Zertifizierung und Krankenkassenanerkennung ist der wissenschaftliche Wirkungsnachweis (Feldmann 2020).

Wirkungsevaluation

Die wissenschaftliche Wirkungsevaluation erfolgt durch das Team der Hochschule Emden/Leer unter der Leitung von Prof. Dr. Knut Tielking und wird durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert. Ziel ist es festzustellen, ob das SUPi-Training den Bedürfnissen der Zielgruppe gerecht wird, zu einer positiven Veränderung im Konsumverhalten der Teilnehmenden führt und damit einen nachweislichen Beitrag zur Suchtprävention bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung leisten kann. Insbesondere Wissens-, Einstellungs- und Verhaltensänderungen werden durch Vorher-Nachher-Messungen (Döring/Bortz 2016) überprüft. Die quantitative Befragung der Studieneilnehmenden erfolgt zu drei Messzeitpunkten mit identischen Fragen, um Vergleichbarkeit der Ergebnisse im Zeitverlauf herstellen zu können: Mithilfe eines standardisierten Fragebogens in Leichter Sprache wird der Zustand der Trainingseilnehmenden (Interventionsgruppe) vor Beginn des Trainings (T1) erfasst. Die Ausgangssituation beleuchtet das Wissen und die Einstellung in Bezug auf den Suchtmittelkonsum sowie das Konsumverhalten der Zielgruppe vor der Intervention. Es schließen sich zwei weitere Befragungen, unmittelbar nach Trainingsabschluss (T2) und drei Monate nach Trainingsabschluss (T3), an. Durch diese strukturierten Messungen werden Langzeiteffekte des SUPi-Trainings dargestellt. Den Ergebnissen der Interventionsgruppe werden Ergebnisse einer Kontrollgruppe gegenübergestellt, die ebenfalls zu drei Messzeitpunkten mit einem zeitlichen Abstand von drei Monaten den identischen Fragebogen beantwortet.

Herausforderung

Unter Berücksichtigung der Möglichkeiten und Einschränkungen von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung mussten die wissenschaftlichen Anforderungen spezifiziert werden – sowohl methodisch als auch bei der inhaltlichen Ausgestaltung. Die Evaluation stellt sich damit der Herausforderung eines simplifizierenden Verfahrens mit dem gleichzeitigen Ziel, valide Daten zu generieren, die den Bewertungskriterien der Zentralen Prüfstelle Prävention (GKV Spitzenverband 2022) und der Grünen Liste Prävention (Groeger-Roth/Hasenpusch 2011) entsprechen. Vor diesem Hintergrund wurden die Erhebungsinstrumente partizipativ, unter Einbezug der Zielgruppe, entwickelt.

Methode: Partizipative Evaluation

Die partizipative Evaluation zeichnet sich durch die aktive Einbindung aller am Projekt beteiligten Personen von Anfang bis Ende des Evaluationsprozesses aus (Hartung et al. 2020). Dieses Vorgehen erfordert eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Betroffenen, den Fachkräften und den Projektverantwortlichen. In den einzelnen Kurseinheiten wurden in enger Abstimmung von Wissenschaft und Praxis kompetenzorientierte Ziele gesetzt.

Fragebogenentwicklung

Die Fragen wurden in Anlehnung an standardisierte Formulierungen aus Studien aus der Sucht- und Präventionsforschung ausgestaltet. Inhalte aus validierten Studien wurden mit den kompetenzorientierten Zielen der SUPi-Kurseinheiten abgeglichen. Um ein zielgruppenadäquates Messinstrument zu entwickeln, wurde der Fragenpool reduziert. Durch dieses Vorgehen sollte die Beantwortung für die Zielgruppe erleichtert sowie Demotivierung und Überforderung vermieden werden.

Der Fragebogen wurde in Leichte Sprache transferiert, ohne von der inhaltlichen Bedeutung abzuweichen. Anstelle von fachspezifischen Begriffen fanden einfache Wörter Anwendung. Lange Sätze wurden in verständliche Abschnitte unterteilt. Der Fragebogen wurde durch das Büro für Leichte Sprache (Andreaswerk Vechta) zertifiziert. Zusätzlich wurde die Formatierung des Fragebogens durch klare, sich wiederholende Strukturen und eine große, deutliche Schrift vereinfacht. Farbliche Hervorhebungen von Rot bis Grün und visuelle Elemente verdeutlichen den Inhalt der Fragen und Antworten und erleichtern die Orientierung bei der Beantwortung. Die Praxistauglichkeit des Fragebogens wurde in einem Pretest mit neun Personen aus der Zielgruppe auf Verständlichkeit, Akzeptanz und Durchführbarkeit überprüft. Der Pretest bestätigte die Angemessenheit des Fragebogens für die Zielgruppe.

Durchführung der Befragung

Aufgrund der kognitiven Einschränkung der Zielgruppe liegt eine weitere Herausforderung in der Evaluationsdurchführung. Es bedarf einer besonderen Beziehungsgestaltung, um bestehende Ängste hinsichtlich einer schriftlichen Befragung abzubauen. Über diesen Zugangsweg gelingt es, die Bereitschaft der Betroffenen zur Mitarbeit zu fördern.

Die Teilnahme an der Evaluation erfolgt auf freiwilliger Basis. Um eine freiwillige Entscheidung zu gewährleisten, ist die hinreichende barrierefreie Aufklärung der Studienteilnehmenden über die Evaluationsziele, die Freiwilligkeit an der Teilnahme und die Sicherstellung der Anonymität entscheidend. Potenzielle Studienteilnehmende werden dazu befähigt, sich anhand der dargestellten Informationen autonom und selbstbestimmt für bzw. gegen eine Teilnahme zu entscheiden.

Aussagemöglichkeiten

Für die Wirkungsevaluation sollen unter Berücksichtigung der Bewertungskriterien der Zentralen Prüfstelle Prävention sowie der Grünen Liste insgesamt 50 Personen für die freiwillige Teilnahme an dem SUPi-Training gewonnen werden. Bis April 2024 wurden 44 Personen mit geistiger Beeinträchtigung in das SUPi-Training involviert. Weitere 40 Personen bilden die Kontrollgruppe.

Durch fortlaufende Akquisetätigkeiten der kooperierenden Einrichtungen, darunter St. Lukas in Papenburg, das Christophorus-Werk in Lingen und das St. Vitus-Werk in Meppen, wird erwartet, dass im zweiten Quartal 2024 die angestrebte Stichprobengröße von je 50 Teilnehmenden in der Interventions- und Kontrollgruppe erreicht werden kann. Die darauffolgende Analyse lenkt den Fokus, neben der Überprüfung der persönlichen Zielerreichung, auf folgende Rubriken (Abb. 2):

Abb. 2: Bestandteile der Wirkungsanalyse. Eigene Darstellung.

Die Wirkungsevaluation involviert zudem die SUPi-Trainer:innen, die mithilfe kursbegleitender Fragebögen dokumentieren, welche Gruppeninhalte erarbeitet und welche kompetenzorientierten Ziele erreicht wurden. Zudem bewerten sie die eingesetzten Materialien und Hilfsmittel sowie die Motivation und Gruppendynamik pro Kurseinheit. Es ist zu erwarten, dass diese umfassenden Bewertungen der einzelnen Kurseinheiten dazu beitragen, erfolgreiche Einheiten, effektive Kursmaterialien und bedarfsgerechte pädagogische Methoden für die Zielgruppe zu identifizieren. So lassen sich jene Faktoren erkennen, die besonders förderlich für das Training sind. Gleichzeitig werden Einblicke in Bereiche ermöglicht, in denen das SUPi-Training Verbesserungspotenzial aufweist. So dient diese Analyse dazu, sowohl Stärken als auch Schwächen des Trainings zu erkennen und dieses gezielt weiterzuentwickeln.

Diskussion und Ausblick

Im vierten Quartal 2024 sollen repräsentative Aussagen über die Wirksamkeit des SUPi-Trainings bezüglich des Wissens, der Einstellung und des Verhaltens der Teilnehmenden in Bezug auf den Konsum von Suchtmitteln sowie über die Kursdynamik und das verwendete Trainingsmaterial vorliegen.

Das SUPi-Training trägt das Potenzial, eine bedeutende Versorgungslücke in der Suchtprävention zu schließen. Durch seine Implementierung soll eine maßgeschneiderte Intervention für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung bereitgestellt werden, die die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten dieser Personengruppe berücksichtigt. Dies gilt es, durch die Wirkungsanalysen zum SUPi-Training nachzuweisen. Gelingt dies, soll die Anerkennung des Trainings seitens der Krankenkassen und die Aufnahme in die Grüne Liste zu einer bundesweiten Verbreitung und damit zur besseren Versorgung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung beitragen.

Kontakt:

Julia Klinkhamer (M.A.)
Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit
Hochschule Emden/Leer
Constantiaplatz 4
26723 Emden
julia.klinkhamer(at)hs-emden-leer.de

Angaben zu den Autor:innen:

Prof. Dr. Knut Tielking ist Professor für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Sucht- und Drogenhilfe an der Hochschule Emden/Leer, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit. Er ist Leiter des Forschungsprojektes „Wirkungsevaluation des Selbstkontrolltrainings SUPi – Suchtprävention – inklusiv für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung“ (2022-2024).
Julia Klinkhamer (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit an der Hochschule Emden/Leer und Geschäftsführerin der Firma PRINOR Statistik.

Literatur
  • Ahlers, L./Clavée, M./Hopster, T. (2023): Konzept SUPi – Suchtprävention inklusiv. Caritasverband für den Landkreis Emsland. Meppen.
  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2011): Nationaler Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Berlin.
  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2023): Bundesteilhabegesetz (BTHG). Berlin.
  • Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (2017): Richtlinie zur Förderung von Forschung auf dem Gebiet „Geistige Behinderung und problematischer Substanzkonsum“. Berlin.
  • Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (2023): Präventionsgesetz (PrävG). Berlin. Online verfügbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/detail/praevg.html (06.12.2023).
  • Döring, N./Bortz, J. (2016): Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 5. Aufl., Berlin/Heidelberg: Springer Verlag.
  • Feldmann, M. (2020): Konzept zur Entwicklung eines Gruppentrainings zum gesundheitsgerechten Umgang mit Suchtstoffen/ Reduzierung des Alkoholkonsums für erwachsene Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Caritasverband für den Landkreis Emsland. Meppen.
  • Feldmann, M./Veld, M./Schomaker, K./Speller, B. (2020): Abschlussbericht zum Projekt „Geistige Behinderung – problematischer Konsum – (k)ein Thema?!“. Caritasverband für den Landkreis Emsland. Papenburg.
  • GKV Spitzenverband (2022): Kriterien zur Zertifizierung von Kursangeboten in der individuellen verhaltensbezogenen Prävention nach § 20 Abs. 4 Nr. 1 SGB V, Stand 22.11.2023. Online verfügbar unter: https://www.zentrale-pruefstelle-praevention.de/wp-content/uploads/2023/11/20231122_Leitfaden_Praev_Kap_5_Kritierien_zur_Zertifizierung.pdf   (17.04.2024)
  • Groeger-Roth, F./Hasenpusch, B. (2011): Grüne Liste Prävention. Auswahl und Bewertungskriterien für die CTC Programm-Datenbank. Landespräventionsrat Niedersachsen. Fassung v. 01.11.2011. Online verfügbar unter: https://www.gruene-liste-praevention.de/communities-that-care/Media/_Grne_Liste_Kriterien.pdf (17.04.2024)
  • Hartung, S./Wihofszky, P./Wright, M. T. (2020): Partizipative Forschung – ein Forschungsansatz für Gesundheit und seine Methoden. In: Hartung, S./Wihofszky, P./Wright, M. T. (Hrsg.): Partizipative Forschung. Ein Forschungsansatz für Gesundheit und seine Methoden. Wiesbaden: Springer VS, S. 1-19.
  • Jung, F./Nachtigal, P. (2018): Suchtselbsthilfe für Menschen mit geistiger Behinderung. Ein Praxisbericht. Bremen.
  • Kretschmann-Weelink, M. (2013): Prävalenz von Suchtmittelkonsum bei Menschen mit geistiger Behinderung in Nordrhein-Westfalen. Gevelsberg.
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  • Sandfort, G. (2022): SUPi – Suchtprävention inklusiv. Caritasverband für die Diözese Osnabrück. Osnabrück.
  • Theunissen, G. (2011): Geistige Behinderung und Verhaltensauffälligkeiten. Ein Lehrbuch für die Schule, Heilpädagogik und außerschulische Behindertenhilfe. 4. Auflage, Bad Heilbrunn: Klinkhardt UTB.
  • Tielking, K./Rabes, M. (2022): Niedersächsisches Suchtpräventionskonzept. Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung. Hannover.