Jahrbuch Sucht 2016

c76945486dDas „Jahrbuch Sucht 2016“ ist erschienen. Die Deutsche Hauptstelle
für Suchtfragen stellt die neuesten Daten und Fakten vor.

Alkohol

Im Jahr 2014 wurde in Deutschland mit 9,6 Liter reinem Alkohol fast ebenso viel getrunken wie im Jahr zuvor (9,7 Liter). Damit bleibt der Pro-Kopf-Konsum unverändert sehr hoch. Der Gesamtverbrauch an alkoholischen Getränken sank im Jahr 2014 gegenüber dem Vorjahr um 0,2 Prozent auf 136,9 Liter pro Kopf der Bevölkerung. Von den 9,6 Litern Reinalkohol pro Kopf entfallen 5,1 Liter auf Bier, 2,3 Liter auf Wein, 1,8 Liter auf Spirituosen und 0,4 Liter auf Schaumwein.

Die geringe Reduktion des Konsums ist jedoch kein Grund zur Entwarnung. Berücksichtigt man, dass der meiste Alkohol in Deutschland von 15- bis 65-Jährigen getrunken wird, erreicht der Durchschnittskonsum der Mehrheit der Bevölkerung 14 Liter Reinalkohol. Hochrechnungen des Statistischen Bundesamtes zufolge sind insgesamt 3,38 Millionen Erwachsene in Deutschland von einer alkoholbezogenen Störung in den letzten zwölf Monaten betroffen (Missbrauch: 1,61 Millionen; Abhängigkeit: 1,77 Millionen).

Die Prävalenz von riskantem Alkoholkonsum gemäß AUDIT-C (Kurzform des „Alcohol Use Identification Test“) nach Geschlecht, Altersgruppe und sozioökonomischem Status zeigt, dass Männer aller Altersgruppen mit hohem sozioökonomischem Status eher riskantes Trinkverhalten zeigen als Männer mit niedrigem sozioökonomischem Status. Bei Frauen zeigt sich noch eklatanter, dass der Alkoholkonsum mit wachsendem Lebensalter und höherem sozialen Status ansteigt, das heißt, 19,3 Prozent der Frauen zwischen 45 bis 65 Jahren mit niedrigem Sozialstatus konsumieren Alkohol riskant, während es bei den Frauen mit hohem Sozialstatus 32,8 Prozent sind.

Untersuchungen zu alkoholbezogenen Gesundheitsstörungen und Todesfällen gehen von etwa 74.000 Todesfällen aus, die durch den Alkoholkonsum oder den kombinierten Konsum von Tabak und Alkohol verursacht sind. Eine psychische oder verhaltensbezogene Störung durch Alkohol wurde im Jahr 2014 mit 340.500 Behandlungsfällen als zweithäufigste Einzeldiagnose in Krankenhäusern diagnostiziert, davon waren 247.918 Patienten Männer. Die Diagnose „Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol“ (F 10) lag für 2014 bei den Männern auf dem ersten Platz der Hauptdiagnosen. 22.391 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen zehn und 19 Jahren wurden 2014 aufgrund eines akuten Alkoholmissbrauchs stationär behandelt, das waren 3,8 Prozent weniger als im Vorjahr. Lediglich bei den 40- bis 50-Jährigen ist ebenfalls ein rückläufiger Trend im Hinblick auf die Patientenzahlen zu beobachten. In den übrigen Altersgruppen nimmt die Behandlung von Patienten mit akuter Alkoholintoxikation zu.

Eine aktuelle Untersuchung beziffert die direkten und indirekten Kosten des Alkoholkonsums in Deutschland auf rund 40 Milliarden Euro. Dem stehen Einnahmen des Staates aus alkoholbezogenen Steuern von nur 3,172 Milliarden Euro (2014) gegenüber. Die Ausgaben für Alkoholwerbung in TV, Rundfunk, auf Plakaten und in der Presse belaufen sich 2014 auf 561 Millionen Euro, das sind 18 Millionen Euro mehr als im Vorjahr, ungeachtet der Ausgaben für Sponsoring und Werbung im Internet.

Tabak

Der Zigarettenverbrauch hat 2015 wieder zugenommen: Konsumiert wurden 1.004 Zigaretten pro Einwohner/in im Vergleich zu 982 Zigaretten im Jahr 2014. Das bedeutet einen Anstieg von 2,24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Abgenommen hat dagegen der Konsum von Zigarren, Zigarillos (2015: drei Milliarden Stück) und Feinschnitttabak (25.470 Tonnen.). Der Pfeifentabakverbrauch stieg 2015 auf 1.732 Tonnen, das entspricht einem Zuwachs von 27,4 Prozent (2014: 1.359 Tonnen). Sowohl die Ausgaben für Tabakwaren (26,2 Milliarden Euro) als auch die Steuereinnahmen sind im Jahr 2015 angestiegen (14,9 Milliarden Euro).

Im Jahr 2013 starben rund 121.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Das waren 13,5 Prozent aller Todesfälle. Hinzu kommen schätzungsweise 3.300 Todesfälle durch Passivrauchen. Die durch das Rauchen entstandenen Kosten belaufen sich in Deutschland jährlich auf 79,09 Milliarden Euro, davon sind 25,41 Milliarden Euro direkte Kosten zum Beispiel für die Behandlungen tabakbedingter Krankheiten, Arzneimittel etc.) und 53,7 Milliarden Euro indirekten Kosten zum Beispiel durch Produktivitätsausfälle.

Der Anteil der Raucher und Raucherinnen ist seit einigen Jahren erfreulich rückläufig. Im Jahr 2013 rauchten 29 Prozent der 15-jährigen und älteren Männer und 20 Prozent der gleichaltrigen Frauen. Am stärksten verbreitet ist das Rauchen im jungen und mittleren Erwachsenenalter. Erst ab einem Alter von 60 Jahren lässt sich ein deutlicher Rückgang beobachten, der auch vor dem Hintergrund der Zunahme tabakbedingter Erkrankungen und Todesfälle zu sehen ist.

Bei Jugendlichen lässt sich ein deutlicher Rückgang des Rauchens verzeichnen: Im Jahr 2014 rauchten laut Repräsentativerhebungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) elf Prozent der zwölf- bis 17-jährigen Jungen und neun Prozent der gleichaltrigen Mädchen – so wenig wie noch nie zuvor seit Beginn der Datenerhebung.

E-Zigaretten und Shishas

Bei Rauchern ab 16 Jahren ist der Anteil derer, die schon mal E-Zigaretten ausprobiert haben, im Zeitraum von 2012 bis 2014 von rund sechs Prozent auf 19 Prozent gestiegen. Von den Nichtrauchern hatten im Jahr 2014 lediglich ein bis zwei Prozent der Befragten die E-Zigarette ausprobiert. Noch beliebter als die E-Zigarette ist zumindest bei Jugendlichen die E-Shisha. Sie gleicht in Aufbau und Funktionsweise der E-Zigarette, ihr Mundstück ahmt jedoch das einer Wasserpfeife nach. Ihr Verbreitungsgrad wurde 2014 zum ersten Mal erhoben: Jeder fünfte Jugendliche (21,4 Prozent) und jeder siebte junge Erwachsene (14,4 Prozent) hat die E-Shisha schon einmal ausprobiert. Jeder neunte Jugendliche (11,3 Prozent) gibt an, in seinem bisherigen Leben schon einmal E-Shisha oder E-Zigarette, aber keine Tabak-Zigarette geraucht zu haben.

Psychotrope Medikamente

Im Jahre 2014 wurden in Deutschland rund 1,51 Milliarden Arzneimittelpackungen über öffentliche Apotheken verkauft (-2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Davon waren etwa 46 Prozent, nämlich 650 Millionen Packungen, nicht rezeptpflichtig. Ein kleiner Teil davon wird verordnet (9,1 Prozent), der größte Teil wird im Rahmen der Selbstmedikation in Apotheken verkauft. Die übrigen 54 Prozent oder knapp 750 Millionen Arzneimittelpackungen wurden von Ärztinnen und Ärzten verschrieben. Der Gesamtumsatz der pharmazeutischen Hersteller betrug etwa 29,2 Milliarden Euro (+4,2Prozent gegenüber dem Vorjahr), der Umsatz in Apotheken 45,8 Milliarden Euro (ohne MwSt.). Größter Einzelmarkt ist der Markt der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Hier wurden 33,01 Milliarden Euro im Jahre 2014 (+9,04 Prozent gegenüber dem Vorjahr) für rund 651 Millionen verordnete Arzneimittel (+0,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr) ausgegeben.

Vier bis fünf Prozent aller verordneten Arzneimittel besitzen ein eigenes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial, darunter vor allem die Schlaf- und Beruhigungsmittel mit Wirkstoffen aus der Familie der Benzodiazepine und der Benzodiazepinrezeptoragonisten. In den letzten Jahren sind die Verordnungen dieser Mittel im Rahmen der GKV zwar zurückgegangen, der Anteil der privat verordneten Mittel hat allerdings zugenommen. Die verkauften Benzodiazepine reichen immer noch aus, um etwa 1,2 bis 1,5 Millionen Abhängige dieser Arzneimittel zu versorgen, die Gesamtzahl der Arzneimittelabhängigen wird auf bis zu 1,9 Millionen geschätzt. Von dieser unerwünschten Arzneimittelwirkung sind insbesondere Frauen im höheren Lebensalter belastet.

Illegale Drogen

Im Jahr 2014 wurden 1.032 Rauschgifttote registriert. Das entspricht einer Steigerung von drei Prozent zum Vorjahr (1.002). Damit ist die Zahl der drogenbedingten Todesfälle mittlerweile im zweiten Jahr in Folge gestiegen und löst den vorherigen Trend rückläufiger drogenbedingter Todesfälle ab. Das Durchschnittsalter der registrierten Drogentoten ist auf etwas mehr als 38 Jahre gestiegen.

Wie die Weltgesundheitsorganisation im Rahmen einer aktuellen Studie zu den weltweiten Gesundheitslasten (Global Burden of Disease [GND]-Studie) schätzt, sind im Jahr 2010 weltweit 157.805 Todesfälle auf den Konsum illegaler Drogen zurückzuführen. Gemessen am Anteil gesunder Lebensjahre, die durch Krankheit oder frühzeitigen Tod verloren gehen (DALYs = disability adjusted life years = durch vorzeitiges Versterben verlorene Lebensjahre, Verlust an Lebensqualität durch das Leben mit Erkrankung und Behinderung), verursachte der Drogenkonsum ein Prozent der globalen Krankenlast (Männer 1,2 Prozent; Frauen 0,7 Prozent), das sind insgesamt 23.810 DALYs.

Deutschland weist geschätzte 4,7 Personen mit riskantem Drogenkonsum pro 1.000 Einwohner im Alter von 15 bis 64 Jahren auf und zählt damit europaweit zu den Ländern mit niedriger Prävalenz. Die Konsumprävalenz ist bei Männern höher als bei Frauen, und der Konsum ist bei 18- bis 20-Jährigen am weitesten verbreitet: 16,8 Prozent hatten in den vergangenen zwölf Monaten illegale Drogen konsumiert. Dabei steht der Konsum von Cannabis deutlich im Vordergrund. Etwa jeder sechste Befragte im Alter von 18 bis 20 Jahren hat in den letzten Monaten mindestens einmal eine illegale Substanz konsumiert. Bei 12- und 13-Jährigen sowie Personen ab dem fünfzigsten Lebensjahr liegt die Prävalenz unter bzw. bei einem Prozent. Nach Hochrechnungen des Epidemiologischen Suchtsurveys 2012 sind insgesamt 319.000 Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren, ca. 260.000 Männer und ca. 58.000 Frauen, von Cannabis, Kokain oder Amphetamin abhängig.

Glücksspiel

Die Bruttospielerträge in deutschen Spielbanken sind 2014 zurückgegangen: Mit 370 Millionen Euro liegen die Erträge von Glücksspielautomaten auf dem niedrigsten Stand seit 1993. ‚Klassische‘ Spiele (Roulette, Black Jack, Poker) brachten 138 Millionen Euro ein. Dies entspricht einer Minderung von zehn Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt sind die Umsätze auf dem gesamten deutschen Glücksspielmarkt 2014 jedoch angestiegen (um 1,4 Prozent auf 34,7 Milliarden Euro). Verantwortlich hierfür sind die 269.000 aufgestellten gewerblichen Geldspielautomaten in Spielhallen, Imbissbetrieben und Gaststätten, die in diesem Bereich für ein Umsatzplus von 3,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und einen Umsatz von 20,5 Milliarden Euro sorgten.

Nach der aktuellen Prävalenzstudie (2015) der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist bei 241.000 Personen der bundesdeutschen Bevölkerung ein problematisches Spielverhalten und bei 215.000 Personen ein pathologisches Spielverhalten erkennbar. Im Vergleich mit dem Survey 2013 sind geringe, statistisch allerdings nicht signifikante Rückgänge zu verzeichnen.

Die Nachfrage in ambulanten Beratungsstellen von süchtigen Spielern und Spielerinnen ist gewachsen. Ihr Anteil in den Suchtberatungsstellen hat sich von 6,8 Prozent auf 7,7 Prozent (Einzeldiagnosen) bzw. von 6,1 Prozent auf 6,8 Prozent (Hauptdiagnosen) erhöht. Eine Hochrechnung auf die Gesamtzahl der betreuten Spieler/innen in den bundesweit 1.427 ambulanten Suchtberatungsstellen verweist auf rund 24.000 Fälle mit der Einzeldiagnose „Pathologisches Spielen“ (Hauptdiagnose: 21.300) nach 18.800 im Jahr 2013 (bezogen auf 1.320 Einrichtungen).

Auf der Basis der durchschnittlichen Anzahl der Klienten pro Einrichtung beträgt der Anstieg der Behandlungsnachfrage 4,9 Prozent. Spieler/innen an Geldspielautomaten bilden mit 73,9 Prozent nach wie vor die mit Abstand größte Gruppe. In stationären Einrichtungen ist nach den Einzel- und Hauptdiagnosen der Anteil pathologischer Spieler/innen an der Gesamtzahl der Patienten im Vergleich zum Vorjahr von 5,1 Prozent auf 4,8 Prozent bzw. von 3,0 Prozent auf 2,0 Prozent leicht zurückgegangen.

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen stellt fest:

Nach wie vor sind die legalen Drogen Alkohol, Tabak und Medikamente für den größten Teil der Suchtproblematik in Deutschland verantwortlich. Es zeigt sich deutlich, dass legaler und illegaler Drogenkonsum besonders Männer und männliche Jugendliche betrifft. Die nur geringfügigen Konsumveränderungen bestätigen zum wiederholten Male die Forderungen der DHS nach effektiven Präventionsmaßnahmen wie Preiserhöhungen, Angebotsreduzierung und Werbeeinschränkungen. Darüber hinaus müssen in der Prävention die unterschiedlichen Problematiken von Männern und Frauen sowie die soziale Benachteiligung stärker berücksichtigt werden.

Bibliographische Angaben:
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) e. V. (Hg.)
Jahrbuch Sucht 2016
Lengerich: Pabst Science Publishers 2016
280 S., ISBN 978-3-95853-172-7, EUR 20,00

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V., 03.05.2016