Glücksspielmarkt

Fotos©Forschungsstelle Glücksspiel/Uni Hohenheim

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Für den Verbraucher sind sie kaum zu erkennen: Illegale Lotterien, Sportwetten und Casinospiele im Internet gedeihen prächtig und sind sehr lukrativ. Nun hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof das Glücksspielkollegium, die oberste Glücksspielaufsicht der Länder, für verfassungswidrig erklärt. Mit dem Urteil stünde die derzeitige Form der Regulierung des Glücksspielmarktes nun vor dem Aus, meint Prof. Dr. Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim.

„Der Glücksspielstaatsvertrag von 2012 sah zwar erstmalig ein koordiniertes Vorgehen der Bundesländer gegen illegale Anbieter vor, doch das funktionierte leider nicht. Die staatliche Regulierung ist weitestgehend gescheitert, die verantwortlichen Behörden erscheinen machtlos. De facto existiert in Deutschland ein in weiten Bereichen nicht regulierter Glücksspielmarkt“, schildert der Experte die Lage. Er plädiert dafür, anstelle des Glücksspielkollegiums eine wesentlich effizientere Glücksspielkommission einzusetzen. Sie könnte wirkungsvoller Kontrollen ausüben und die Zahlungsströme zu illegalen Anbietern unterbinden: „Ziel ist es, die legalen Anbieter auf der einen Seite möglichst wenig einzuschränken, aber auf der anderen Seite möglichst viel für den Jugend- und Spielerschutz zu tun.“

Derzeit wird bei Sportwetten mittlerweile fast der gesamte Umsatz durch nicht-legale Anbieter getätigt. „Diese bieten im Internet meist nicht nur Sportwetten, sondern auch die deutlich lukrativeren Online-Casinospiele an, die fast überall in Deutschland illegal sind“, berichtet Prof. Becker. „Die verantwortlichen Behörden erscheinen machtlos.“ Es bestünde offenbar ein strukturelles Vollzugsdefizit. Der Jugend- und Spielerschutz werde bei dem nicht-legalen Angebot kaum berücksichtigt. Es lohne sich für einen Anbieter, sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben zu halten, so Prof. Becker.

Die einzelnen Glücksspielformen unterscheiden sich erheblich in Bezug auf ihr Suchtpotenzial. Am höchsten ist es bei Geldspielgeräten, Casinospielen und Sportwetten, am geringsten bei den traditionellen Lotterien. „Die Glücksspielaufsicht fordert bisher jedoch bei Lotterien die höchsten Standards für die Suchtprävention. Dadurch verschiebt sich das Angebot von den ungefährlicheren Spielen hin zu den gefährlichen“, umreißt Prof. Becker eines der Probleme. Online-Anbieter agieren außerdem in der Regel europaweit. Ordnungsrechtlich war bislang jedoch nur das jeweilige Bundesland zuständig. „Es stellt sich hier die Frage, ob eine föderale Struktur nicht grundsätzlich mit der Kontrolle und Überwachung dieser Anbieter überfordert ist“, gibt Prof. Becker zu bedenken. Die bisherige Situation sei für illegale Anbieter von erheblichem Vorteil. „Der Markt ist völlig unreguliert. Potenzielle Anbieter, die sich an die Gesetze halten wollen, werden vom Markt ferngehalten – und die eindeutig illegalen Angebote von Casinospielen anscheinend durch die Glücksspielaufsicht geduldet.“

„Künftig kann der Glücksspielmarkt in Deutschland nur dann erfolgreich reguliert werden, wenn hierfür die institutionellen Voraussetzungen geschaffen werden“, meint Prof. Becker. Das bisherige Glücksspielkollegium mit einem einzigen Glücksspielreferenten aus jedem Bundesland, der daneben auch noch für andere Bereiche verantwortlich ist, sei zum Scheitern verurteilt gewesen. Prof. Becker schlägt als Abhilfe eine Glücksspielkommission vor, wie sie in den meisten Ländern Europas als Aufsichtsbehörde dient. „In diesen Kommissionen sind bis zu mehrere hundert Mitarbeiter tätig. Sie arbeiten mit den Zahlungsdienstleistern eng zusammen. In Belgien ist die Glücksspielkommission sogar mit Polizeirechten ausgestattet.“ Um den Glückspielmarkt nicht wie bisher nur auf dem Papier, sondern tatsächlich sinnvoll zu regulieren, sei eine Expertise in den Bereichen Verbraucher, Wirtschaft und Recht notwendig. Diese müsse eine Glücksspielkommission vorweisen können. „Und nicht zuletzt ist auch die Infrastruktur für die Kontrolle der Anbieter und den Schutz der Spieler zu schaffen“, mahnt der Experte.

Die Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim besteht seit 2004. Sie ist eine unabhängige universitäre Einrichtung, die keine privatwirtschaftlichen Ziele verfolgt. Weitere Informationen finden Sie hier.

Pressestelle der Universität Hohenheim, 20.10.2015