Christiane Hunstein, Sarah Theres Schütze

Pflegebedürftigkeit bei Menschen mit Suchterfahrung

Vorbemerkung Entstigmatisierende Sprache
Warum ist Sprache wichtig? Sprache prägt die Art und Weise, wie wir über Menschen denken und sprechen und wie diese sich selbst sehen. Vor allem im Kontext von Sucht kann Sprache ausgrenzen, verletzen oder entlasten. Eine entstigmatisierende Sprache trägt dazu bei, das Leben von Menschen mit Suchterfahrung positiv zu verändern und den Umgang miteinander zu verbessern. Die zentralen Werte von Condrobs e.V. – Vielfalt, Offenheit und Akzeptanz – spiegeln sich in einer bewussten, entstigmatisierenden Sprache wider, einer Sprache, die klar, respektvoll und barrierearm ist – sowohl für Fachpersonen als auch für Betroffene.

Dieser Beitrag orientiert sich an den Empfehlungen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS, 2023) sowie dem Leitfaden zu entstigmatisierender Sprache der Deutschen Aidshilfe (DAH, 2023). Die Begriffe „Sucht“, „Abhängigkeit“ und „Störung“ sind medizinisch-psychiatrische Diagnosen, bei welchen den Betroffenen oft die Fähigkeit zur eigenen Krankheitsbeurteilung abgesprochen wird. Im vorliegenden Text werden wertfreie Beschreibungen bevorzugt, z. B.: Person(en) mit Suchterfahrung, hat Suchterfahrung, ist suchterfahren. Zur besseren Lesbarkeit werden auch Begriffe wie „Suchterkrankung“, „Abhängigkeitserkrankung“ oder „Substanzkonsumstörung“ verwendet, stets ohne wertenden oder diskriminierenden Hintergrund.


1. Einleitung

Sarah Theres Schütze

Christiane Hunstein

Der Anteil älterer Menschen in unserer Gesellschaft nimmt beständig zu. Aufgrund stetiger Verbesserungen der sozialmedizinischen Versorgungslage erreichen immer mehr Menschen aus gesundheitlichen Risikogruppen ein hohes Alter – so auch diejenigen mit einer langjährigen Suchterkrankung.

1.1 Anzahl der Betroffenen

Die Zunahme älterer Menschen mit Abhängigkeitserkrankung zeigt sich im Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) deutlich: Allein im Bereich der Opiatabhängigkeit verdoppelte sich der Anteil von Menschen über 50 in den vergangenen Jahren von zehn auf 20 Prozent (siehe zum Vergleich die Jahre 2015/Abb. 1 und 2023/Abb. 2). Laut DSHS liegt das Durchschnittsalter opiatabhängiger Menschen nicht mehr (wie noch 2015) bei Mitte 30, sondern zwischen 40 und 50 Jahren.

Abb. 1: Altersstruktur nach Hauptdiagnosen, ambulant, 2015 (DSHS 2015, S. 14)

Abb. 2: Altersstruktur nach Hauptdiagnosen, ambulant, 2023 (DSHS 2023, S. 20)

Ein gut ausgebautes psychosoziales und medizinisches Netzwerk sorgt demnach dafür, dass Menschen mit Substanzgebrauchsstörung immer älter werden. Eine erfreuliche Entwicklung, welche gleichzeitig jedoch mit einer Reihe von Herausforderungen einhergeht – sowohl für die Betroffenen selbst als auch für die Suchthilfeeinrichtungen, an die sie angebunden sind.

1.2 Charakteristika der Zielgruppe

Ältere Menschen mit Suchterkrankungen sind in vielerlei Hinsicht besonders: Ihr Suchtverhalten hat sich über Jahrzehnte entwickelt, und der langjährige Substanzgebrauch führt zu frühzeitig einsetzenden kognitiven, psychischen und körperlichen Beeinträchtigungen. Insbesondere Letztere haben zur Folge, dass Menschen mit Suchterfahrung häufig schon im mittleren Lebensalter von zunehmender Pflegebedürftigkeit betroffen sind.

Der vermehrte Pflegebedarf spiegelt sich auch in den wachsenden Anforderungen an Suchthilfeeinrichtungen, die diese Menschen betreuen. Im „DHS Jahrbuch Sucht 2025“ heißt es:

Mit zunehmendem Alter stellen sich vermehrt alterstypische gesundheitliche und psychosoziale Probleme ein, die nicht selten mit Mobilitätseinbußen verbunden sind […] Dadurch verschieben sich sowohl die Themen, die für die Beratung und Betreuung […] relevant sind, als auch die Kooperationspartner, die zur Bewältigung dieser Probleme erforderlich sind. Zunehmend werden ambulante und stationäre Pflege- und Altenhilfeeinrichtungen relevant […] (DHS 2025, S. 31–44)

Der Umgang mit altersbedingten Krankheitsbildern wie Bluthochdruck, Diabetes und Demenz gehört längst zum Arbeitsalltag vieler Sozialpädagog:innen in der Suchthilfe. Neben suchtspezifischem Fachwissen werden immer häufiger Kenntnisse zu kognitiven und somatischen Erkrankungen des Alters benötigt. Insbesondere im Kontext des ambulant betreuten Wohnens ergeben sich zusätzliche Herausforderungen durch die teils stark eingeschränkte Mobilität der Klient:innen, da ein barrierefreies Wohnen nur in wenigen Einrichtungen vollständig gewährleistet werden kann.

Hinzu kommt, dass Menschen mit Suchterfahrung immer wieder Diskriminierung, Vorurteile und Stigmatisierung erleben, auch in den psychosozialen und medizinischen Hilfesystemen. Interaktionen mit und Behandlungen von Klient:innen werden dadurch zusätzlich erschwert. Die sich daraus ergebende schwierige Versorgungslage älterer Suchterkrankter wurde bereits 1995 von Gaby Gehl treffend zusammengefasst:

Ältere suchtkranke Menschen werden von vielen Institutionen, die in der Suchttherapie tätig sind, eher abgelehnt bzw. die Betroffenen fühlen sich ausgegrenzt. Hilflosigkeit und Resignation führen dazu, dass Behandlungsansätze für ältere Suchtkranke fehlen. (Gehl 1995, S. 60)

1.3 Entwicklung der Versorgungsstrukturen

Zwar hat sich die medizinische, soziotherapeutische und pflegerische Versorgung von älteren Menschen mit Suchterkrankungen in den letzten Jahren weiterentwickelt, vergleicht man jedoch Gehls Aussagen mit den aktuellen Leitlinien der Suchtpolitik der Landeshauptstadt München, zeigt sich, dass die Versorgung immer noch in vielen Bereichen unzureichend bleibt. In den Leitlinien aus dem Jahr 2010 heißt es:

Suchtkranke ältere Menschen finden immer noch zu wenig Beachtung – sowohl in der Suchthilfe als auch in Suchtforschung und -politik. Deutlich wird dies an den fehlenden Erkenntnissen über diese Gruppe sowie an einem Mangel an spezifischen Hilfsangeboten. Handlungsbedarf besteht insbesondere angesichts der demographischen Entwicklung, in deren Verlauf die Zahl älterer Menschen mit Suchterkrankung steigen wird. (Gorgas et al. 2010, S. 26)

Diese Leitlinien blieben – wie auch die Versorgungsangebote für ältere Menschen mit Suchterkrankungen – in den vergangenen 15 Jahren weitestgehend unverändert. Laut einer Ankündigung des Münchner Gesundheitsreferats soll eine aktualisierte Gesundheitsstrategie der Stadt München zum Jahresende 2025 beschlossen werden, welche unter anderem Aspekte der Suchtprävention und Suchthilfe umfasst (leitlinie-gesundheit – Landeshauptstadt München, Zugriff am 15.04.25). Es bleibt zu hoffen, dass die geplanten Aktualisierungen bald ihren Weg in den praktischen Alltag sowie in die sozialpädagogische Arbeit finden, denn die Versorgungslücke ist zum derzeitigen Stand nach wie vor spürbar.

1.4 Versorgungslücken und Handlungsbedarf

Es besteht ein erhöhter Bedarf an soziotherapeutischer Beratung und Betreuung für ältere Menschen mit Suchterkrankungen, der durch das aktuelle Angebot nur unzureichend gedeckt werden kann. Ebenso ist die Integration von Akteur:innen der Suchthilfe in die Pflege von zentraler Bedeutung, um Wissen auszutauschen und Synergien zu bilden. Viele ambulante Pflegedienste und stationäre Pflegeeinrichtungen sind nicht ausreichend auf diese besondere Zielgruppe vorbereitet. Es fehlt an ausgebildeten Fachkräften, die in der Lage sind, neben den pflegerischen auch suchtspezifische Anforderungen zu berücksichtigen. Um die Lücke zu schließen, ist die Entwicklung innovativer Konzepte erforderlich, die den besonderen Bedürfnissen älterer Menschen mit Suchterkrankungen gerecht werden. Ein Beispiel für ein solches Versorgungskonzept ist das Betreute Wohnen 40+ des Vereins Condrobs e.V.

Im Folgenden wird das Spannungsfeld zwischen Pflegebedürftigkeit und Suchthilfearbeit konkretisiert sowie als mögliche Lösung ein Pilotprojekt von Condrobs e.V. dargestellt. Dazu gehören auch ein Fallbeispiel und ein Interview mit einer Mitarbeiterin. Diese Beiträge vermitteln praktische Einblicke in den Alltag des ambulant betreuten Wohnens für ältere Menschen mit Suchterfahrung.

2 Pflegebedürftigkeit und Sucht

Wie eingangs beschrieben hat die Verbesserung des psychosozialen und medizinischen Netzwerks zur Folge, dass es immer mehr ältere Menschen mit Konsumerfahrung gibt, die pflegebedürftig werden. Ältere Menschen stehen in der Suchthilfe jedoch bislang ebenso wenig im Fokus wie eine suchtbezogene Perspektive in der Altenhilfe. Dies führt dazu, dass riskanter oder abhängiger Substanzkonsum im Alter häufig unerkannt bleibt oder fälschlich als altersbedingt interpretiert wird. In der Folge werden suchtkranke ältere Menschen in Pflegeeinrichtungen oft nicht bedarfsgerecht und suchtspezifisch betreut. Zur Situation in der Suchthilfe schreibt die DHS in ihrer Versorgungsanalyse:

In der Suchthilfe zeigt sich die Problematik des erhöhten Pflegebedarfs vor allem in Einrichtungen der Eingliederungshilfe, in denen Menschen mit einer Suchtproblematik betreut werden, die häufig zusätzlich erhebliche körperliche und psychische Einschränkungen haben bzw. durch einen langen Substanzkonsum „vorzeitig gealtert“ sind. (DHS 2019)

2.1 Voralterung und häufige Krankheitsbilder

Insbesondere in Einrichtungen der Eingliederungshilfe zeigt sich, dass viele Klient:innen aufgrund des langjährigen Konsums bereits vorzeitig gealtert sind und einen deutlich erhöhten Pflegebedarf aufweisen – häufig verbunden mit körperlichen Einschränkungen, kognitiven Beeinträchtigungen oder psychischen Störungen (DHS 2019). Die Krankheitsbilder sind vielfältig und reichen von Gliederamputationen, Lungenerkrankungen, Leberzirrhosen, Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes und Krebs über Zuckerkrankheit mit schlecht heilenden Wunden bis zu allgemein schlechtem körperlichen Zustand nach Schlaganfall. Jeder dritte Patient mit einer Substanzkonsumstörung ist außerdem von mindestens einer weiteren psychischen Störung betroffen (z. B. depressive Störungen, Angststörungen, PTBS, Persönlichkeitsstörungen und ADHS).

2.2 Pflegebedarf und Versorgungssituation

Dieser daraus resultierende spezielle Bedarf an persönlicher Unterstützung übersteigt vielerorts die vorhandenen personellen und konzeptionellen Ressourcen. Obwohl zunehmend Pflegegrade festgestellt werden und somit zumindest ein geringer finanzieller Ausgleich über die Pflegekassen erfolgt, bleibt die tatsächliche Umsetzung zusätzlicher Pflegeleistungen stark eingeschränkt – nicht zuletzt durch regionale Unterschiede, begrenzte Ressourcen und fehlende Konzepte.

Im Hinblick auf stationäre Pflege älterer Menschen mit Substanzkonsum lässt sich berichten, dass eine Aufnahme in der Regel nicht erfolgt, u. a. liegt das biologische Alter hier meist unter der Altersgrenze für die Aufnahme. Die Vernetzung von Einrichtungen der Eingliederungshilfe mit Pflegeheimen gestaltet sich also schwierig: Die Vermittlung läuft häufig ins Leere. Klient:innen mit Bedarf an Kurzzeit- oder Langzeitpflege werden in den meisten Fällen abgelehnt.

Eine alternative Möglichkeit, den physischen Einschränkungen und frühzeitigen Alterserscheinungen der Klientel in der Eingliederungshilfe zu begegnen, ist eine Kooperation mit ambulanten Pflegediensten. Hierzu meint die Leiterin eines ambulanten Pflegedienstes in München: „Wenn sie da mal drin sind, unterscheiden sich ältere Süchtige eigentlich gar nicht von meinen sonstigen Pflegefällen. Sie sind eher dankbarer für die Unterstützung.“

2.3 Lösungsansätze

Projekte einzelner Träger wie z. B. „Betreutes Wohnen 40+“ von Condrobs e.V. zeigen, dass eine zielgruppenorientierte Versorgung grundsätzlich möglich ist, allerdings nur unter bestimmten strukturellen Voraussetzungen wie etwa einem höheren Personalschlüssel, barrierefreien Umgebungen und niedrigschwelligen Betreuungsangeboten. Auf struktureller Ebene eröffnet die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) neue Chancen zur Verzahnung von Altenhilfe und Eingliederungshilfe. Allerdings bleibt die pflegerische Versorgung älterer suchterfahrener Menschen ein komplexes Handlungsfeld, das gezielte konzeptionelle und politische Weiterentwicklungen erfordert. Aufgrund fehlender öffentlicher Gelder sowie des Fachkräftemangels sind oben genannte strukturelle Voraussetzungen schwer zu erreichen.

3 Betreutes Wohnen für ältere Menschen mit Suchterfahrung bei Condrobs e.V.

Ältere Menschen mit Suchterfahrung benötigen eine Wohnform, die neben Sicherheit und Unterstützung im Alltag gleichzeitig einen sensiblen Umgang mit ihrer Erkrankung bietet. Das Angebot „Betreutes Wohnen 40+“ (BW40+) von Condrobs e.V. kann hier eine wichtige Brücke schlagen.


Über Condrobs e.V.
Condrobs ist ein überkonfessioneller Träger mit vielfältigen sozialen Hilfsangeboten in ganz Bayern, der benachteiligten Menschen und ihren Angehörigen hilft. Aus einer Selbsthilfeinitiative entstanden, arbeiten heute rund 1000 Mitarbeiter:innen in ca. 70 Einrichtungen. Das breit gefächerte Angebot umfasst innovative Projekte und Einrichtungen der Prävention, Sucht- und Wohnungslosenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe sowie Migrationsarbeit. Condrobs ist Ausbilder und bietet betreute Beschäftigungsplätze für Frauen* und Männer*, die nach einer schwierigen Lebensphase wieder ins Arbeitsleben zurückkehren wollen. Die Condrobs-Akademie hält Fortbildungen zu aktuellen Themen für die soziale Arbeit bereit.
Weitere Informationen unter www.condrobs.de


Der auf ältere Menschen mit Konsumhintergrund spezialisierte Zweig des Trägers zielt darauf ab, die Klientel bei der Alltagsbewältigung und der Entwicklung neuer Perspektiven zu unterstützen. Dies geschieht entweder aus dem vertrauten Umfeld heraus – der eigenen Wohnung – oder in Therapeutischen Wohngemeinschaften (TWGs). Die Mitarbeiter:innen von BW40+ begleiten und unterstützen ihre Klient:innen bei der Stabilisierung ihrer Gesundheit und ihrer Lebens- und Konsumsituation, sie reflektieren gemeinsam mit ihnen die Auswirkungen der Erkrankung, sind Ansprechpartner:innen in einsamen Zeiten, entwickeln gemeinsam Ideen für die Zukunft und bieten ggfs. einen langfristigen Wohnplatz bis zur letzten Lebensphase.

3.1 Pilotprojekt: „Intensiv Betreutes Wohnen“ in einer therapeutischen Wohngruppe

Bereits seit 2007 bietet Condrobs speziell Hilfen für ältere Substanzkonsumierende an – insbesondere in der Form des betreuten Wohnens. Das Angebot „Betreutes Wohnen 40+“ bietet derzeit insgesamt 63 Plätze an. Davon fallen 24 Plätze auf Betreutes Einzelwohnen (BEW), bei dem Menschen in Einzelwohnungen Unterstützung erhalten. Zusätzlich stehen 39 Plätze in verschiedenen Therapeutischen Wohngemeinschaften (TWG) zur Verfügung. Neun dieser Plätze befinden sich in der TWG „Intensiv Betreutes Wohnen“, einer barrierefreien Wohnung, in welcher speziell körperlich stärker beeinträchtigte Personen ein Zuhause finden können. Die barrierefreie TWG wurde im Mai 2021 eröffnet. Der Schwerpunkt liegt auf der Versorgung von Menschen mit Polytoxikomanie, Doppeldiagnosen und Polymorbidität. So können Menschen aufgefangen werden, die aufgrund komplexer Problemstellungen sonst häufig durch das soziotherapeutische Versorgungsnetz fallen.

Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung bis Pflegegrad 2 können in der intensiv betreuten Wohngruppe aufgenommen werden. Insbesondere richtet sich das Angebot an ältere drogenabhängige Menschen mit einer meist über zehn- bis 40-jährigen Substanzkonsumstörung. Die Bewohner:innen sind entweder ehemals konsumierend oder in einer medizinischen Substitutionsbehandlung. Eine Übersicht der relevanten Charakteristika der Bewohner:innen findet sich in Abbildung 3.

Abb. 3: Charakteristika der Bewohner:innen der TWG „Intensiv Betreutes Wohnen“

Die Wohnung befindet sich im Erdgeschoss eines Wohngebäudes und ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Die Infrastruktur des Quartiers bietet vielfältige Möglichkeiten, den täglichen Bedarf zu decken, welche die Klient:innen nutzen können. Einkaufsmöglichkeiten, Arztpraxen, ambulante Pflege und Nachbarschaftsangebote sind vorhanden.

Das Team unterstützt die Bewohner:innen bei Bedarf bei der Suche und Inanspruchnahme von geeigneten ambulanten Pflegediensten. Es fördert die Kooperation, auch durch gemeinsame Fallgespräche. Bewohner:innen der TWG haben ihrerseits die Verpflichtung, diesen und anderen externen Angeboten gegenüber aufgeschlossen zu sein.

Mit diesem Angebot wird eine Lücke im Hilfesystem für ältere suchtkranke Menschen in München geschlossen, eine Lücke, die durch den erschwerten Zugang zu herkömmlichen Angeboten der Altenhilfe und Pflege besteht. Die TWG „Intensiv Betreutes Wohnen“ wird als Teil der Stadtgesellschaft wahrgenommen, fügt sich ein und wirkt mit, sodass Integration praktisch gelebt wird.

3.3 Bisherige Erfolge des Pilotprojekts

Seit der Eröffnung der TWG „Intensiv Betreutes Wohnen“ im Jahr 2021 sind die Plätze fast durchgehend belegt, was den Bedarf widerspiegelt. Viele der Bewohner:innen zeigen eine gute Compliance, die sich positiv auf den Verlauf ihres Aufenthalts auswirkt. Bei etwa 70 Prozent der Bewohner:innen kann eine stabile Entwicklung beobachtet werden, die auf die Unterstützung und die Angebote in der Einrichtung zurückzuführen ist.

Besonders erfreulich sind die gelungenen Freizeitveranstaltungen, die mittlerweile auch von den Bewohner:innen selbst organisiert werden. Dies fördert nicht nur den Gemeinschaftssinn, sondern auch die Verantwortungsübernahme für die Mitbewohner:innen. Ein weiteres Merkmal ist das weitestgehend harmonische Zusammenleben von abstinenzorientierten und substituierten Personen, was zu einem respektvollen und unterstützenden Umfeld beiträgt.

4 Stimmen der Beteiligten

In den folgenden Punkten vermitteln ein Fallbeispiel und ein Interview mit einer Mitarbeiterin Eindrücke und Erfahrungen aus der Praxis.

4.1 Klienten-Beispiel aus der Praxis des Betreuten Wohnens

Herr M. lebt seit 18 Monaten in der barrierefreien, intensivbetreuten therapeutischen Wohngruppe von Condrobs e.V. Herr M. ist 56 Jahre alt. Über viele Jahre konsumierte er regelmäßig Heroin und Alkohol in großer Menge. Er ist seit drei Jahren stabil substituiert und abstinent von Alkohol. Zudem leidet Herr M. an einer diagnostizierten Depression sowie einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) infolge früherer Gewalterfahrungen.

Aufgrund des langjährigen Heroin- und Alkoholkonsum entwickelte Herr M. eine Leberzirrhose sowie eine Polyneuropathie, die mit starken Schmerzen in den Beinen und Gefühlsstörungen einhergeht. Zusätzlich leidet er unter chronischem Bluthochdruck und hat ein metabolisches Syndrom entwickelt. Seine Beweglichkeit ist deutlich eingeschränkt, häufig benötigt er zur Fortbewegung einen Rollator. Aufgrund der Polyneuropathie hat er mehrfach offene Wunden an den Füßen, die nur schlecht heilen und ihn regelmäßig zu Krankenhausaufenthalten zwingen.

Durch seine Mobilitätseinschränkungen fällt es Herrn M. zunehmend schwer, alltägliche Aufgaben wie Zimmerreinigung oder Einkäufe eigenständig zu erledigen. Er benutzt auch für kurze Strecken den Aufzug, da er Treppen nur unter großer Anstrengung und mit Begleitung bewältigen kann. Herr M. leidet unter wiederkehrenden Erschöpfungszuständen, was ihn zusätzlich in seiner Selbstständigkeit einschränkt. Aufgrund seiner Einschränkungen muss Herr M. für alle Tätigkeiten längere Zeiten einplanen, und er hat das Gefühl, „die Tage würden verschwinden“.

Die therapeutische Einrichtung von Condrobs e.V. bietet Herrn M. eine barrierearme Umgebung sowie Unterstützung im Alltag durch Betreuer:innen und ambulante Pflegekräfte. Therapeutische Angebote wie Ergotherapie, psychotherapeutische Einzelgespräche und Bewegungsangebote helfen ihm, seine Selbstständigkeit schrittweise zu stabilisieren und seine Lebensqualität zu verbessern. Als besonders wertvoll empfindet Herr M. die Möglichkeit, kurzfristig Unterstützung durch Fachpersonal zu erhalten, und den Kontakt zu seinen Mitbewohner:innen. Die regelmäßigen Kontakte helfen ihm nach eigenen Angaben, „Grübelspiralen“ zu durchbrechen und sich weniger einsam zu fühlen.

In Bezug auf Kontakt mit medizinischem Personal und Pflegekräften berichtet Herr M. von viel Ablehnung und Stigmatisierung: „Solange die nicht wissen, dass du mit illegalen Drogen zu tun hattest, passt alles. Ansonsten wird man gemieden.“

4.2 Interview mit einer Mitarbeiterin im Betreuten Wohnen

Eine Mitarbeiterin aus der ambulanten Suchthilfe mit Schwerpunkt auf älteren suchtbelasteten Menschen gibt im Gespräch Einblicke in die besonderen Herausforderungen, die sich an der Schnittstelle zwischen Pflege und Suchthilfe ergeben:

Welche gesundheitlichen Herausforderungen beobachten Sie bei Ihren Klient:innen?
Bei älteren Menschen mit langjährigem Substanzkonsum treten häufig komplexe gesundheitliche und pflegerische Bedarfe auf. Zu den häufigsten Herausforderungen zählt die Versorgung offener Wunden. Auch die regelmäßige und richtige Einnahme von Medikamenten ist von besonderer Bedeutung – nicht zuletzt aufgrund verminderter Behandlungsmotivation und mangelnder Krankheitseinsicht, zwei Punkte, welche regelmäßig in den Einzelgesprächen thematisiert werden. Besonders bei Menschen mit Pflegegrad 2 wird auch die Körperpflege zur täglichen Hürde. Hinzu kommen ernährungsbezogene Herausforderungen, etwa bei Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes Typ II, deren Management durch instabile Lebensverhältnisse und mangelndes Gesundheitsbewusstsein zusätzlich erschwert wird.

Typische Krankheitsbilder bei dieser Zielgruppe sind nicht nur durch Alterungsprozesse, sondern maßgeblich durch den langjährigen Konsum legaler wie illegaler Substanzen bedingt. In manchen Fällen kommt es zu einer Suchtverlagerung – etwa von Alkohol hin zu exzessivem Essen –, was neue gesundheitliche Probleme nach sich ziehen kann. Der Substanzkonsum kann außerdem die Wahrnehmung des eigenen gesundheitlichen Zustands beeinflussen, sodass Symptome zu spät oder Krankheitsverläufe nicht erkannt werden.

Wie nehmen Sie die Versorgung der Zielgruppe im Hinblick auf die ambulante Pflege wahr?
Obwohl Kooperationen mit geriatrischen Abteilungen und ambulanten Pflegediensten teilweise möglich sind, sind diese in der Praxis nicht immer einfach umzusetzen. Viele Pflegedienste und ihre Mitarbeiter:innen sind noch unerfahren im Umgang mit Menschen mit Suchterfahrung und Substitutionsmedikamenten, was zu Berührungsängsten führt.

Die ambulante Pflege stellt eine wichtige Versorgungsstütze dar – vorausgesetzt, es liegt eine ärztliche Verordnung vor. Besonders relevant sind Leistungen wie die Medikamentengabe, die jedoch in der Praxis mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet ist. Die Einnahme lebenswichtiger Medikamente muss laut Vorschrift unter Aufsicht der Pflegekräfte erfolgen, doch Zeitmangel aufseiten der Pflegedienste und geringe Kooperationsbereitschaft bei den Klient:innen machen dies oft unmöglich. Problematisch ist auch die Vergabe von Substitutionsmitteln, die viele ambulante Pflegedienste kategorisch ablehnen. Hier zeigen sich deutlich die Grenzen eines Pflegesystems, das für die Bedürfnisse suchtbelasteter Menschen unzureichend vorbereitet ist.

Eine der häufigsten Herausforderungen sind die oft sehr plötzlichen gesundheitlichen Verschlechterungen, die zu einem vermehrten Wechsel zwischen Krankenhaus und Einrichtung führen. Kurzfristige und nicht abgesprochene Entlassungen aus dem Krankenhaus in die ambulante Versorgung erfolgen in einigen Fällen ohne Klärung der weiteren Pflege.

Stationäre Pflegeangebote hingegen bleiben von dieser Zielgruppe oft ungenutzt – entweder, weil die Betroffenen frühzeitig versterben oder eine Vermittlung aufgrund komplexer Problemlagen scheitert. Bei Pflegegraden mit Anspruch auf haushaltsnahe Unterstützungsleistungen scheitert die Umsetzung zudem oft am allgemeinen Personalmangel in der Pflege.

Welche strukturellen und inhaltlichen Verbesserungsbedarfe sehen Sie?
Aus Sicht der ambulanten Suchthilfe bedarf es grundlegender struktureller Veränderungen, um die Versorgung älterer Menschen mit Suchterfahrung zu verbessern. Dazu gehören ein intensiverer Austausch zwischen Suchthilfe, Pflegeheimen und Hospizdiensten sowie der Aufbau verbindlicher Kooperationsstrukturen. Insbesondere die Substitutionsvergabe in stationären Einrichtungen ist bislang eine Versorgungslücke.

Wünschenswert wäre außerdem die Sensibilisierung des Pflegepersonals für die besonderen Bedürfnisse älterer Menschen mit Suchterkrankungen. Substanzkonsum wird aufgrund mangelnder Erfahrung häufig nicht mitgedacht – sei es bei der unreflektierten Ausgabe alkoholischer Getränke in Altenheimen oder dem leichtfertigen Einsatz stark abhängig machender Medikamente wie Opioiden. Eine systematische, interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Suchterkrankungen im Alter in der geriatrischen Versorgung erscheint nötig.

5 Fazit

Eine zielgruppenorientierte Versorgung älterer Menschen mit Konsumerfahrung ist möglich – wenn bestimmte strukturelle Voraussetzungen erfüllt sind. Die TWG „Intensiv Betreutes Wohnen“ von Condrobs e.V. zeigt, wie ein solches Versorgungsangebot aussehen kann: Die Einrichtung bietet neben einem barrierefreien Wohnraum ein umfassendes Unterstützungsangebot, das körperliche, psychologische und soziale Bedürfnisse der Klientel berücksichtigt.

Die Erfolge des Pilotprojekts wie eine hohe Platzauslastung, eine stabile Entwicklung bei einem Großteil der Klient:innen und ein unterstützendes, respektvolles Zusammenleben abstinenzorientierter und substituierter Personen illustrieren die Möglichkeiten, die sich durch eine zielgruppenorientierte Versorgung ergeben. Gleichzeitig zeigen sich Herausforderungen: Hoher Pflegebedarf, komplexe Krankheitsbilder, Mobilitätseinschränkungen und die Notwendigkeit intensiver Begleitung bringen auch erfahrene Mitarbeitende an ihre Grenzen. Insbesondere der Umgang mit medizinischer Versorgung, Medikamentenvergabe und die Kooperation mit ambulanten Pflegediensten bleiben anspruchsvolle Aufgaben – nicht zuletzt wegen bestehender Vorurteile und struktureller Hürden im Pflegesystem.

Gesamtgesellschaftlich wird deutlich, dass ältere Menschen mit langjährigem Substanzkonsum eine wachsende, jedoch vielfach marginalisierte Zielgruppe darstellen. Hier trifft der demografische Wandel auf ein Hilfesystem, das noch zu wenig auf die besonderen Bedürfnisse dieser Gruppe eingestellt ist. Die Versorgungsrealität ist geprägt von Pflegekräftemangel, fehlender interdisziplinärer Zusammenarbeit, starker Stigmatisierung und einem Fehlen geeigneter Konzepte. Trotz steigender Fallzahlen bleibt der Zugang zu angemessener Pflege und Betreuung vielerorts erschwert – sei es durch einen Mangel an Einrichtungen und finanziellen Mitteln oder durch Ausgrenzung innerhalb der klassischen Altenhilfestrukturen.

Für die Zukunft braucht es einen systematischen Ausbau suchtsensibler Pflegeangebote sowie tragfähige, verbindliche Kooperationsstrukturen zwischen Suchthilfe, Pflege, Medizin und Politik. Neben einer Erhöhung der personellen und finanziellen Ressourcen ist vor allem eine positive Haltung gefragt: Respekt, Offenheit und ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit und Teilhabe. Projekte wie das „Betreute Wohnen 40+“ können als Vorbild dienen – vorausgesetzt, sie werden nicht als Einzellösung, sondern als Teil einer übergeordneten Strategie verstanden. Damit die besonderen Bedarfe der Zielgruppe künftig systematisch erkannt und adressiert werden können, braucht es ein Umdenken im Hilfesystem – hin zu einer Suchthilfe, die das Alter mitdenkt.

Kontakt:

Christiane Hunstein
Condrobs e.V., Betreutes Wohnen 40+
Westerhamer Straße 11, 81671 München
christiane.hunstein(at)condrobs.de

Angaben zu den Autorinnen:

Christiane Hunstein: Sozialpädagogin (Studium Soziale Arbeit B.A.), seit 2021 Mitarbeiterin im Betreuten Wohnen 40+ von Condrobs e.V., Bezugsbetreuerin im Rahmen der Soziotherapie; Achtsamkeitslehrerin, Heilpraktikerin für Psychotherapie (nach dem Heilpraktikergesetz);
Sprachwissenschaftlerin (Studium der engl. Sprachwissenschaft), langjährige selbständige Arbeit als Übersetzerin, Redakteurin und Layouterin von Sachbüchern u. a. im Bereich Gesundheit

Sarah Theres Schütze: Psychologin (M.Sc.), seit 2025 Mitarbeiterin im Betreuten Wohnen 40+ von Condrobs e.V., Bezugsbetreuerin im Rahmen der Soziotherapie; mehrjährige Tätigkeit als freiberufliche Texterin

Literatur:
  • DAH Deutsche Aidshilfe (Hg.) (2023) – Edbauer, Philine; Kratz, Dirk; Schäffer, Dirk; Schmolke, Rüdiger; Luther, Antonia; Streck, Rebekka: Drogen Sprache. Eine Einladung zum Gespräch. Online verfügbar unter https://www.aidshilfe.de/de/shop/archiv/drogen-sprache-einladung-gesprach, zuletzt geprüft am 16.05.2025.
  • DHS Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (Hg.) (2019): Die Versorgung von Menschen mit Suchtproblemen in Deutschland. Analyse der Hilfen und Angebote & Zukunftsperspektiven. Update 2019. Online verfügbar unter https://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/dhs-stellungnahmen/Die_Versorgung_Suchtkranker_in_Deutschland_Update_2019.pdf, zuletzt geprüft am 16.05.2025.
  • DHS Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (2023) – Bschor, Tom; Bürkle, Stefan; Janßen, Heinz-Josef; Kemper, Ulrich; Mäder-Linke, Corinna; Rumpf, Hans-Jürgen; Streck, Rebekka; Rummel, Christina: Empfehlungen für stigmafreie Bezeichnungen im Bereich substanzbezogener und nicht-substanzbezogener Störungen. Positionspapier der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS). Online verfügbar unter https://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/2023-09-26-Positionspapier_stigmafreie_Begriffe.pdf, zuletzt geprüft am 16.05.2025.
  • DHS Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (2025): DHS Jahrbuch Sucht 2025. Lengerich: Pabst Science Publishers.
  • Gehl, Gaby (1995): Alter und Sucht. Ein aktueller Überblick zu Ursachen, Formen, Erklärungsansätzen und Prävention. 1. Aufl. Freiburg: Sozial-Verlag (Selbständig Altern).
  • Gorgas, Birgit; Gallas, Josef; Steinack, Vreni (2010): Leitlinien der Suchtpolitik der Landeshauptstadt München. Stand November 2010. München: Landeshauptstadt München, Referat für Gesundheit und Umwelt.
  • Krebs, Marcel; Mäder, Roger; Mezzera, Tanya (2021): Soziale Arbeit und Sucht. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
  • Schmid, Martin; Vogt, Irmgard; Arendt, Ines; Follmann-Muth, Klaudia (2024): Case Management mit älteren Opioidabhängigen. In: SUCHT 70 (1), S. 31–44. DOI: 10.1024/0939-5911/a000845.
  • Vogt, Irmgard; Schmid, Martin (2020): Sucht im Alter. In: Geriatrie up2date 2 (04), S. 323–336. DOI: 10.1055/a-1230-5811.