Suchthilfe ist für Menschen ohne Wohnung überlebenswichtig

Fachgespräch auf dem Podium: Ziel ist eine bessere Kooperation zwischen Sucht- und Wohnungslosenhilfe

„Da geht noch was!“ lautete der Titel einer Fachtagung, die am 4. November 2021 im Fachkrankenhaus Vielbach stattgefunden hat. 2010 wurde dort durch den Klinikleiter Joachim J. Jösch die „Initiative für das Recht auf Teilhabe von abhängigkeitskranken Wohnungslosen in Rheinland-Pfalz“ (TAWO-Initiative) gestartet. Die Übernahme der Schirmherrschaft durch die damalige Sozialministerin Malu Dreyer zeigte, welch hohe Relevanz die Politik dieser Teilhabe-Initiative beimisst. Nach zehn Jahren ist es Zeit, Bilanz zu ziehen, und so hatte das Fachkrankenhaus Vielbach namhafte rheinland-pfälzische Fachkräfte aus Wohnungslosenhilfe, Suchthilfe, Politik und Wissenschaft eingeladen, um über den aktuellen Stand und die Weiterentwicklung der Hilfen zu diskutieren.

Menschen ohne Wohnung leben in gravierend-komplexen Problemlagen. Etwa zwei Drittel von ihnen sind suchtkrank und/oder psychisch krank. Ohne medizinische Behandlung sterben suchtkranke Wohnungslose meist früh, enden in psychiatrischen Einrichtungen oder in der Palliativmedizin.

Im Vorfeld der Tagung hatten neue Erkenntnisse aus einer „Erhebung zur Suchthilfe für Wohnungslose“ dem Treffen Brisanz verliehen. Abhängigkeitskranke Klienten ohne Wohnung waren in drei rheinland-pfälzischen Suchthilfeeinrichtungen – Haus Eichen in der Mühle, Stationäre Vorsorge „Neue Wege“ sowie Fachkrankenhaus Vielbach – freiwillig und anonym zu ihrem Ausstieg aus Sucht und Wohnungslosigkeit befragt worden. Joachim J. Jösch stellte die Ergebnisse bei der Tagung vor. Die Auswertung von 117 Fragebögen ergab: 91 % der Antworter hatten schon vor dem Verlust der Wohnung zu viel Alkohol/Drogen konsumiert, 65 % hatten schon vor ihrer Wohnungslosigkeit psychische Probleme, und 82 % war klar, dass ihr Suchtproblem die Rückkehr in Wohnung und Arbeit stark behindert. 74,2 % gaben an, ihnen sei von der Wohnungslosenhilfe keine Hilfe wegen ihrer Suchtprobleme angeboten worden. Diese hohe Zahl machte den Tagungsteilnehmer*innen den großen Handlungsbedarf deutlich.

Grundlagen für eine gelingende Suchthilfe-Kooperation

Nach verschiedenen Einzelvorträgen zu den Themen Veränderungsmotivation, Förderung von gesellschaftlicher Teilhabe und Zu-, Aus- und Übergänge für wohnungslose Klient*innen wechselten die Referent*innen zu einem Fachgespräch aufs Podium. Ziel war es, Grundlagen für eine gelingende Suchthilfe-Kooperation schaffen.

Dr. Dirk Kratz (Therapieverbund Ludwigsmühle) berichtete für die Landesstelle für Suchtfragen von zielgruppenspezifischen Angeboten der Suchtberatungsstellen im Land, von deren derzeitiger Netzwerkarbeit und dem Interesse an Kooperationen, die sozial Benachteiligte besonders fördern.

Gabriel Blass vom Haus Eichen schilderte, wie das Hilfeangebot der Einrichtung schon Hunderten Wohnungslosen den Weg für einen suchtmittelfreien Neuanfang geebnet hat. Er bot Suchthilfe-Informationsgespräche in allen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe an.

Joachim J. Jösch, Leiter des Sucht-Hilfe-Zentrums Vielbach, wies auf einen besonderen Glücksfall für rheinland-pfälzische Wohnungslose hin: In ihrem Bundesland liegt mit dem Fachkrankenhaus Vielbach die bundesweit einzige Suchtklinik, deren spezieller Auftrag die medizinische und soziale Rehabilitation suchtkranker Menschen ohne Wohnung ist. Er bot mehrtägige kostenfreie Schulungen in Motivierender Gesprächsführung sowie kostenfreie suchtmedizinische Schulungen für Mitarbeitende der Wohnungslosenhilfe an.

Andreas Geiger, Joachim Grämer und Jennifer Möllers, Vertreter*innen der Fachgruppe Wohnungslosenhilfe in der LIGA Rheinland-Pfalz, informierten über vielfältige suchtbezogene Kooperationen ihrer Einrichtungen. Wegen knapper Personalressourcen sowie zunehmend komplexer psychischer Störungen der Klienten seien mehr Suchthilfe und spezifische Hilfen nur schwer leistbar. Konkrete Suchthilfe-Kooperationen, die Klient*innen niedrigschwellige Auswege ermöglichen, seien aber erwünscht.

Olaf Noll, Abteilungsleiter im rheinland-pfälzischen Sozialministerium, bekundete das große Interesse der Landesregierung an einer nachhaltigen Kooperation zugunsten der suchtkranken Wohnungslosen. Er lobte das langjährige Engagement der Vielbacher Gastgeber, die Lebens- und Teilhabechancen dieser Menschen zu verbessern, und versprach, die sich anbahnende Kooperationsvereinbarung nachhaltig zu unterstützen.

Moderiert wurde die Tagung von Professor Robert Frietsch vom Institut für Forschung und Weiterbildung (IFW) der Hochschule Koblenz. Der ehemalige Drogenbeauftragte des Landes ist durch langjährige Forschungsarbeit mit der Wohnungslosenhilfe fachlich sehr verbunden.

Es wurde abschließend vereinbart, dass als Ergebnis dieser Fachtagung ein Entwurf einer Sucht- und Wohnungslosenhilfe-Vereinbarung zur Verstetigung einer nachhaltigen fachlichen Kooperation erarbeitet wird. Mit dem Sozialministerium abgestimmt, soll diese dann zur landesweiten Anwendung kommen.

Link zum Tagungsflyer

Joachim J. Jösch, Leiter des Sucht-Hilfe-Zentrums Vielbach, 17.11.2021