Die Bedeutung des neuen KDS für die Handlungsfelder der Suchthilfe

Ambulante Suchthilfe

Erica Metzner, Dipl.-Sozialpädagogin (FH), Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (KJP), Leiterin des Suchthilfezentrums der Stadtmission Nürnberg e. V., Nürnberg

Seit März 2014 vertrete ich den Gesamtverband für Suchthilfe e. V. der Diakonie Deutschland (GVS) im Fachbereich Statistik der DHS. Als Suchtberaterin ist es mir ein wichtiges Anliegen, die Perspektive und die Bedürfnisse der Praxis zu vertreten. Ich finde, es ist uns gut gelungen, die Fragestellungen, die für die praktische Arbeit vor Ort wichtig sind, mitabzubilden. So erfragen wir zukünftig genauer die allgemeinen Problemlagen unserer Klientinnen und Klienten, auch die Situation von Kindern wird differenzierter erfasst. Es hat mir sehr viel Freude gemacht, an dem aus meiner Sicht sehr modernen und praxisnahen KDS 3.0 mitwirken zu können. Wir haben zusammen ein zukunftsfähiges Erhebungsinstrumentarium entwickelt. Ich finde, es ist uns gut gelungen, Praxis und Forschung miteinander zu verbinden.

Sozialpsychiatrischer Dienst

Jens Köhler, Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes/Suchtberatung, Kreis Gütersloh, Abteilung Gesundheit, Gütersloh

Ich bin seit kurzem bei der Entwicklergruppe und freue mich über das neue differenzierte Instrument. Besonders die klare Hierarchisierung der Möglichkeiten, Netzwerkpartner einzutragen, trägt zur besseren Verständlichkeit bei. „Teilstationäre sozialtherapeutische Einrichtung“ kam bei uns im Sozialpsychiatrischen Dienst wirklich sehr selten vor, „Stationäre psychiatrische Akutbehandlung“ hingegen oft.
Das Gesundheitsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen will den Kreisen und kreisfreien Städten regelmäßig eine Auswertung auf Grundlage des KDS zur Verfügung stellen. In vielen Sozialpsychiatrischen Diensten wird der KDS jedoch nicht erhoben. Hierdurch wird es weiter Verzerrungen geben. Ich möchte mich bei der Entwicklung der nächsten Version daher gern für eine Verschlankung des Instruments einsetzen, um dem Ziel einer Vollerhebung näherzukommen.

Suchtpsychiatrie

Dr. Heribert Fleischmann, Vorsitzender der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), von 1998 bis Dezember 2016 Ärztlicher Direktor des Bezirksklinikums Wöllershof, Störnstein

Die überarbeitete Auflage des deutschen KDS der Suchthilfe ist ein starkes und aussagekräftiges Instrument zur Erhebung relevanter, sektorenübergreifender Versorgungsdaten unter public health-Gesichtspunkten. Solche Daten wären die beste Grundlage für den europäischen Datenaustausch und Vergleich sowie für nationale gesundheitspolitische Entscheidungen zur Verbesserung der Qualität der Suchthilfe – wenn – ja wenn denn alle relevanten Versorger bei der Erhebung mitwirken würden.
Die bisherige Praxis zeigte, dass einer der am häufigsten in Anspruch genommene Leistungserbringer, nämlich die Suchtpsychiatrie, sich weder mit ambulanten noch stationären Daten im ausreichendem Maße beteiligt. „Woran liegt das?“, fragt man sich. Nun, Daten werden in den psychiatrischen Einrichtungen in Fülle erhoben – beschränkt auf abrechnungstechnische Belange. Es herrscht eine geradezu überbordende Dokumentationspflicht, allein mit dem Ziel, die nötigen Betriebsmittel von den Kostenträgern zu erhalten. Versorgungsrelevante Daten ‚nebenbei‘ noch zu erheben, gibt das System nicht (mehr) her. Solche Daten könnten bestenfalls als ‚Nebenprodukt‘ aus den 301er Daten, die das InEK erhält, herausdestilliert werden. Es wäre wünschenswert, wenn wenigstens Teile des Datenpools der Suchtpsychiatrie mit dem KDS verknüpft werden könnten, daran ist zu arbeiten.

Suchtrehabilitation

Peter Missel, Psychologischer Psychotherapeut, Leitender Psychologe, AHG Kliniken Daun – Am Rosenberg, Daun

Aus Sicht der Suchtrehabilitation bietet der neue KDS 3.0 einige wichtige Verbesserungen, mit denen sich die stetige Veränderung der klinischen Praxis besser abbilden lässt. Dazu gehört beispielsweise die Erfassung des inzwischen sehr breiten Spektrums der flexibel kombinierbaren Behandlungsmodule sowie der unterschiedlichen Spiel- und Nutzungsformen im Bereich der Verhaltenssüchte. Außerdem lässt die Erhebung der subjektiven Einschätzung der Patienten zur Veränderung des Konsums am Behandlungsende und zum Katamnesezeitpunkt weitere Erkenntnisse über den Erfolg der Suchtreha erwarten.

Eingliederungshilfe

Martina Tranel, Dipl.-Sozialarbeiterin/-pädagogin, Leiterin der Einrichtung Theresienhaus Glandorf, CRT – Caritas Reha und Teilhabe GmbH

Foto©Tranel

Es gibt gute Gründe für die Eingliederungshilfe und deren Verbände, jetzt in die Datenerhebung einzusteigen bzw. dazu aufzufordern. Mit Blick auf das Bundesteilhabegesetz bietet der KDS 3.0 Optionen zum Wirksamkeitsnachweis bzw. zum Nachweis der gefühlten Wirklichkeit: Die Eingliederungshilfe Sucht leistet einen unterschätzten Beitrag zur Verbesserung der sozialen und beruflichen Teilhabe. Und der KDS birgt weitere wertvolle Informationen: Wie wirken sich Maßnahmen der Eingliederungshilfe auf die Wiedererlangung von Rehafähigkeit aus? Werden behinderte Suchtkranke (wieder) in die Lage versetzt, die medizinische Rehabilitation Abhängigkeitskranker erfolgreich zu absolvieren? Spannende Fragen, die sich allerdings nur aufgrund der Fleißarbeit unserer Mitarbeitenden beantworten lassen. Wünschenswert ist, dass viele Einrichtungen den Nutzen der Datenerhebung erkennen und den KDS auch anwenden, bevor die Leistungsträger uns dazu auffordern und eigene Vorgaben dazu entwickeln. Die Daten, die wir jetzt sammeln können, sollten wir zügig für eigene Auswertungen – z. B. auf verbandlicher Ebene – nutzen.

Suchthilfeverbund

Richard Sickinger, Referent bei Jugendberatung und Jugendhilfe e. V., Frankfurt a. M.

Die im Kerndatensatz Einrichtung erfolgte umfassende Aufnahme der verschiedenen Leistungsangebote der Einrichtung ermöglicht eine adäquate Abbildung der Betreuungs-, Beratungs- und Behandlungsangebote des Suchthilfeverbundes in Städten und Landkreisen. Zudem eröffnet die genauere Erfassung der Maßnahmen und Interventionen im Kerndatensatz Fall nun erstmals eine differenzierte Beschreibung der Klientel in den spezifischen Angeboten der Suchthilfe, z. B. in der Substitution, in der ambulanten Rehabilitation, in niedrigschwelligen Hilfen oder im Betreuten Wohnen. Die neue Erfassung der Veränderungen des Substanzkonsums und der psychosozialen Lebenssituation am Betreuungs-/Behandlungsende erlaubt erste Rückschlüsse auf die Wirkung von Interventionen über den Substanzgebrauch hinaus.

Sucht-Selbsthilfe

Heinz-Josef Janßen, Bundesgeschäftsführer des Kreuzbund e. V., Bundesgeschäftsstelle Hamm

Die Sucht-Selbsthilfe stellt ein langjährig erprobtes effektives Unterstützungs-, Ergänzungs- und Hilfesystem nicht nur für Suchtkranke, sondern auch für Angehörige dar. Die Erfolgsquoten sind beachtlich: Etwa 70 bis 80 Prozent der abhängigkeitskranken Gruppenteilnehmerinnen und -teilnehmer erreichen durch regelmäßigen Gruppenbesuch eine dauerhafte stabile Abstinenz. Diese Leistungen der Sucht-Selbsthilfe werden dann optimal, wenn die Zusammenarbeit zwischen den Diensten und Einrichtungen der beruflichen Suchthilfe (ambulant und stationär) und der Selbsthilfe gut funktioniert. Daher ist es aus Sicht der Selbsthilfe ein absolut positives Signal, dass diese Zusammenarbeit im neuen KDS 3.0 sowohl im KDS-E als auch im KDS-F an vielen Stellen ‚abgefragt‘ und damit ‚verbindlich‘ wird.

Deutsche Rentenversicherung

Dr. Joachim Köhler, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Deutsche Rentenversicherung Bund, Geschäftsbereich Sozialmedizin und Rehabilitation, Berlin

Die Deutsche Rentenversicherung Bund begrüßt die bundesweite und einheitliche Nutzung des Kerndatensatzes in allen Bereichen der Suchtkrankenhilfe und -versorgung. Die aktualisierte Version im Kerndatensatz Katamnese (KDS-Kat) trägt aktuellen Forschungsbemühungen zur Verbesserung der Rücklaufquoten bei der Katamnesebefragung Rechnung. Daneben sind mit dem neuen KDS-Kat die Grundlagen dafür gelegt, den nachhaltigen Erfolg der Suchtbehandlung im Sinne der Ergebnisqualität noch besser zu dokumentieren. Es ist zu hoffen, dass die Vorgehensweise des Suchtversorgungssystems im Bereich der Katamnesen auch auf andere Indikationsgebiete der Rehabilitation übertragen werden kann.

Länderebene

Dietrich Hellge-Antoni, Leitung des Referates „Strategische Ausrichtung der Suchthilfe und Suchtprävention“, Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, Fachabteilung Drogen und Sucht, Hamburg

Ein wichtiger Schritt ist getan. Mit dem überarbeiteten Kerndatensatz steht ein Instrument zur Erfassung der Inanspruchnahme der Suchthilfe zur Verfügung, das als beispielhaft gelten muss. Die Möglichkeit, den Datensatz um länderspezifische Fragestellungen zu ergänzen, wird durch einige Länder praktiziert. Die nächste Herausforderung besteht darin, diese Daten – mehr als bisher – nutzbar zu machen. Jede einzelne Einrichtung kann mit den Daten aus dem Kerndatensatz belegen, welchen Beitrag sie im Hilfesystem leistet. Wichtig ist nun, diese Daten mit Referenzdaten abzugleichen. Einrichtungen, Länder und Kommunen sind damit in der Lage, bewerten zu können, ob vorher formulierte Ziele erreicht wurden. Werden die Informationen so genutzt, bieten sie einen Fundus an Bewertungsmöglichkeiten und bilden ein wichtiges Instrument zur Weiterentwicklung der Suchtkrankenhilfe.

Bundesebene

Gaby Kirschbaum, Leiterin des Referates Sucht und Drogen, Bundesministerium für Gesundheit,  Berlin

Mit dem Kerndatensatz steht ein flexibles System zur Verfügung, das den unterschiedlichsten Akteuren Informationen für ein steuerndes Eingreifen liefern kann. Der Kerndatensatz 3.0 wird in Zukunft noch differenziertere Erkenntnisse über das deutsche Suchthilfesystem liefern.
Das Bundesministerium für Gesundheit fördert die Deutsche Suchthilfestatistik seit langem, vor allem, um die Berichtspflichten auf europäischer Ebene zu erfüllen. In den letzten Jahren haben wir gemeinsam mit dem IFT (Institut für Therapieforschung München) für eine bessere Zugänglichkeit der Daten und Berichte auf der Webseite gesorgt. Aber immer noch gilt leider: Der ‚Schatz‘ wird noch viel zu wenig genutzt! Schauen Sie deshalb regelmäßig nach unter www.suchthilfestatistik.de und nutzen Sie die Möglichkeiten des neuen Kerndatensatzes für Ihr Arbeitsfeld.

Softwareanbieter

Michael Strobl, Geschäftsführer der GSDA GmbH, München

Nun ist er endlich da, und die Freude ist groß, zumindest die nächsten paar Jahre nicht mehr so oft sagen zu müssen: „Tut uns leid, wird erst mit dem neuen KDS in xx Jahren möglich sein“. Als Alternative gab es ja zuletzt immer nur den Vorschlag: „Sie können sich das aber auch gerne sofort als individuelle Ergänzung (auf Deutsch: gegen Aufpreis) programmieren lassen“. Jetzt, da die Software fertig ist, mag man sich gar nicht mehr an die vor und in der Entwicklungsphase herrschenden Sorgen erinnern, wie es denn – um nur ein Beispiel zu nennen – bloß gehen soll, auf einer Bildschirmmaske 50 verschiedene Suchthilfemaßnahmen mit Bezeichnung und Eingabefeld unterzubringen. (Merke: Es gibt noch genug Kunden, deren Monitore schon seit weit mehr als fünf Jahren auf dem Schreibtisch stehen.) Kaum ist das verdaut, wird verkündet: Da kommen jetzt noch weitere neun Fragen dazu, in Abhängigkeit von bestimmten Maßnahmen und sichtbar mit diesen in Verbindung stehend. Entspanntes Programmieren sieht anders aus. Doch nun ist es geschafft, und sicher wird die unumstritten erreichte fachliche Verbesserung in dem einen oder anderen Büro noch für einen neuen Flatscreen sorgen – kein zu verachtender Nebeneffekt.

Forschung

Dr. Jens Kalke, Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD), Hamburg

Der KDS bietet auf der Auswertungsebene die Chance, soziodemografische Daten in einen Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Hilfen zu stellen. Hieraus können wichtige empirische Hinweise für ein bedarfsgerechtes Versorgungssystem gewonnen werden. Am KDS 3.0 gefällt mir besonders die Erweiterung um psychosoziale Problembereiche, mit denen zukünftig die Situation der Klient/innen am Beginn und am Ende der Betreuung differenzierter abgebildet werden kann.